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Wissenschaftliche Nachwuchsförderung im Graduiertenkolleg "Angewandte Mikroökonomik"

In anspruchsvollen Hauptstudiumsveranstaltungen tauchen sie manchmal auf - sie studieren, ohne Studenten zu sein, sie haben ein viel kleineres Programm als unsereins, und kriegen auch noch Geld dafür: die Kollegiaten des Graduiertenkollegs "Angewandte Mikroökonomik".

Dahinter verbirgt sich nichts anderes als eine anderswo weit verbreitete, in Deutschland aber noch relativ neue Form der Ausbildung von Doktoranden. Während hierzulande der Weg zur Promotion meist über eine langjährige Assistententätigkeit führt und der Doktorand sich überwiegend autodidaktisch fortbilden muß, wird in anderen Ländern der wissenschaftliche Nachwuchs gezielt durch klar strukturierte und intensive Aufbaustudiengänge gefördert. In einer Werbebroschüre des Berliner Kollegs heißt es: "Bis zum Abschluß seiner Promotion ist er [der deutsche Doktorand] im Durchschnitt etwa vier Jahre älter als sein Kommilitone aus den USA; dessen wissenschaftliches Niveau erreicht er dennoch nur in Ausnahmefällen."
Schlimme Zustände, dachte sich wohl auch die Stiftung Volkswagenwerk, als sie 1988 einen Modellversuch zur Einführung von Graduiertenkollegs nach amerikanischen Muster in Deutschland startete. Eines der damals geförderten Projekte war das Graduiertenkolleg "Angewandte Mikroökonomik" der Freien Universität Berlin, daß nach Ende des Modellversuchs jetzt von der deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wird, wobei nach Umzug einiger Professoren künftig die Humboldt-Universität die Federführung übernimmt.

Im Rahmen des Kollegs sollen die Teilnehmer in kurzer Zeit, ca. drei Jahren,  zuerst zum neuesten Stand der Forschung und schließlich zur Promotion geführt werden. Vor Beginn will jedoch erst das Auswahlverfahen überwunden sein: Nach einer Vorauswahl, ohne Prädikatsexamen besteht ohnehin keine Chance, werden die aussichtsreichsten Bewerber nach Berlin geladen, wo nach ausführlichen Gesprächen schließlich ca. zehn Teilnehmer übrigbleiben - überwiegend Volks- und Betriebswirte, aber auch Mathematiker und Statistiker.

Ist diese Hürde geschafft, dürfen die sich die Kollegiaten erst einmal über die für die meisten zur Verfügung stehenden Stipendien freuen, bis dann mit speziellen Veranstaltungen in Mikroökonomik, Ökonometrie, Industrieökonomik und Finanzierung der Ernst des Lebens wieder beginnt. Parallel zu diesen Vorlesungen sollen die Kollegiaten bereits im ersten Semester ihr Dissertationsprojekt ausarbeiten und möglichst gleich mit der Arbeit beginnen.
Nach den Prüfungen am Ende des ersten Jahres verschiebt sich der Schwerpunkt weiter in Richtung Erstellung der Doktorarbeit: Es müssen nur noch sehr wenige Veranstaltungen besucht werden, die dann aus einem breiten Gebiet wählbar sind und möglichst mit dem Dissertationsthema in Verbindung stehen sollten. Zur Auswahl steht hier alles, was die beteiligten Professoren gerne lehren - viele Humboldt-Studenten können sich sicherlich lebhaft vorstellen, wer hinter Themen wie Finanzierungstheorie, Arbeitsmarktökonomie oder Public Choice steht.

Der eigentliche Reiz des Graduiertenkollegs liegt aber eher im akademischen Begleitprogramm. In regelmäßigen Treffen stellen die Teilnehmer den aktuellen Stand ihres Dissertationsprojekts zur Diskussion; so früh wie möglich sollen sie beginnen, ihre neuesten Ergebnisse in wissenschaftlichen Zeitschriften zu publizieren oder auf wirtschaftswissenschaftlichen Konferenzen und Kongressen vorzutragen. Zu Schwerpunktthemen des Kollegs werden Workshops mit auswärtigen Referenten durchgeführt, auch die manchen vielleicht bekannte Vorlesungsreihe zur angewandten Mikroökonomik mit Gastdozenten wird vom Graduiertenkolleg finanziert. Weitere Mittel sind zur Entlohnung von Gastprofessoren vorhanden, neuestes Beispiel ist Professor Landsberger aus Israel, der hier gegenwärtig Vorlesungen zum Thema Auktionstheorie hält.

Nach Abschluß des Kollegs und hoffentlich erworbenem Doktortitel blieben bisher die meisten Kollegiaten der Wissenschaft treu und sind heute als Assistenten an verschiedenen Universitäten tätig, gar nicht wenige davon an der Humboldt-Universität. Zur Zeit läuft der Antrag für neue Mittel ab dem WS 1995/96. Sprecher des Kollegs wird dann Professor Wolfstätter sein, darüber hinaus sind von der Humboldt-Universität die Herren Professoren Burda, Blankart, Güth, Härdle, Lütkepohl, Schwalbach, Stehle und Wickström beteiligt. Vielleicht wird dann ja auch der eine oder andere jetzige Humboldt-Student zu den Teilnehmern gehören; im kommenden Frühjahr werden vermutlich die nächsten zu vergebenden Plätze ausgeschrieben, für nähere Auskünfte stehen die erwähnten Professoren, so hoffe ich zumindest, zur Verfügung.

Matthias Döpke