Seemannsgarn

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Mit einem lauten Knarren schwang die Kajütentür zurück. Kapitän C.B. Blanchard musterte mit einem prüfendenBlick den Horizont und ließ zischend die eingesogene Abendluft wie-der entweichen. Es war kalt geworden. Die M.S.WiwiF lag knarrend und mit schlaffen Segeln in der untergehenden Abendsonne. Was waren das noch für Zeiten gewesen, als das Schiff mit einer völlig neuen Mannschaft besetzt in blendenden Farben in See gestochen war.

Wer konnte denn schon ahnen, daß die Humboldt-Reederei, die so lange so gut von den üppigen Subventionen in der Schiffahrtsbranche gelebt hatte, nun nach deren Wegfall dem Konkurs entgegenschlingern würde. Nein, eigentlich konnte man an Bord der WiwiF noch froh sein. Mußte man doch keine Angst haben, wie andere Schiffe an eine der zwei anderen mächtigen Reedereien FU oder TU verhökert und danach abgewrackt zu werden. Trotzdem blieb ein bitterer Beigeschmack. In jedem angelaufenen Hafen waren die Zuweisungen für das Schiff geringer geworden, und in letzter Zeit konnte der Kapitän bemerken, daß einige der besten Offiziere damit liebäugelten, auf anderen Schiffen anzuheuern.

Da war zum Beispiel der "Amerikaner", den es zur Binnenschiffahrt in die südwestliche Provinz zu ziehen schien, oder "Der Spieler" mit seinem neuen Faible für Kohlekähne im Pott. Die einstmals unter Mühen zusammengestellte Mannschaft war langsam aber sicher dabei auseinanderzufallen. Verbittert schaute der Kapitän in Richtung der Offiziersunterkünfte auf dem Achterdeck. Nein, so hatte er sich sein Kommando auf diesem Schiff  nicht vorgestellt. Nicht aber die katastrophale Finanzlage war es, die sein graues Haar in der zurückliegenden Zeit noch grauer hatte werden lassen. Nicht die von ihm anfangs gefürchteten Außeinandersetzungen mit den Matrosen, die sich auf dem Unterdeck des Schiffes mit überfüllten, vermoderten Quartieren und  chaotischen Arbeits- und Lebensbedingungen herumschlagen mußten, waren es, die ihm oft schlaflose Nächte bereiteten. Nein, es waren diese trügerische Ruhe, dieses Gefühl der verweigerter Solidarität und der unausgesprochenen Meuterei, und dieser aus den nobel eingerichteten Offizierskabinen zu ihm heraufziehende süßliche Duft frisch gewobener Intriganz, welche ihn über den Sinn seiner Bemühungen und über die Zukunft des Schiffes nachgrübeln ließen.

Bewundernd und mißtrauisch zugleich schaute Kapitän Blanchard zu der Gruppe von Offizieren, die sich um seinen Vorgänger Wolf, der von den meisten nur "Pinke" genannt wurde, scharten. Sie hörten dem begabten Redner zu, wie er von einer "neuen" M.S. WiwiF träumte, auf der nur noch die besten der besten Matrosen mitfahren dürften und  auch dann nur, wenn vorher ein entsprechendes Anheuergeld geflossen wäre. Ja, damals unter Kapitän Wolf war alles noch ganz anders gewesen. Mit Geschick und manchmal auch der notwendigen Brutalität hatte dieser es verstanden, sich die Offiziere und fast den ganzen Mannschaftsrat hörig zu halten. Inzwischen waren jedoch die fast vergessen geglaubten Differenzen zwischen den einzelnen Nationalitäten der Mannschaft, zwischen Bähweelern und Pfauweelern, wieder in voller Heftigkeit aufgeflammt.

Aber auch andere, manchmal persönliche Gründe hatten dazu geführt, daß man sich im Mannschaftsrat nicht mehr dutzte, sondern nur noch mit einem kalten "Sir" anredete. Kapitän Wolf war schon ein harter Bursche gewesen, aber gerade deshalb konnte Blachard  sich des Verdachtes nicht erwehren, daß dieser immer noch, auf einer eigenen gut gefüllten Schatztruhe sitzend, seine eigene "Pinke"- Politik machte. Auf lange Sicht, das wußte der Kapitän nur zu genau, würde das Schiff, so zerfahren wie es war, seinen Kurs nicht halten können. Wer aber hatte  noch den Mut, über die Zukunft des Schiffes nachzudenken. Wie, wenn überhaupt, konnte eine gemeinsame Lösung der drängenden Probleme erreicht werden? Sir Blanchard überkam ein ungutes Gefühl. Ein Windstoß ließ eines der kraftlos an den Masten hängenden Segel herumwabern. Der Himmel hatte sich bewölkt. Es würde Sturm geben.

Jan Hansen