Jahreswechsel auf Kuba

Beim Verlassen der Wohnung der letzte check, da fällt´s mir wieder ein. Ich wollte doch noch Ludwig Renn´s Kinderbuch „Camilo" mitnehmen. Erst im Flugzeug fange ich an zu lesen, zum zweiten Mal nun. Wie lange ist das jetzt her? Zweite oder dritte Klasse vielleicht, ca. 15 Jahre. Da ist die Rede von der Pionierfreundschaft bzw. dem Freundschaftsrat und natürlich auch vom Schiff namens „Völkerfreundschaft" aus der DDR (Oder sollte ich jetzt vielleicht „ehemalige" hinzufügen?), welches voller Geschenke ist. Überhaupt war damals alles Freundschaft. Und jetzt? Es hat sich auf jeden Fall vieles verändert, bei uns! Und dort, auf Kuba?

Vergleichen kann ich leider nicht, denn es ist mein erster Besuch dort, aber die Werbung zwischen den Videofilmen während des Fluges nach Havanna trägt eindeutig westliche Züge. Ich erfahre, daß ich mit Mastercard zahlen kann, auch bei Cubana Airlines, aber bitte nicht in den USA ausgestellt. Ach ja, da war ja noch was. In der englischen Ausgabe des kommunistischen Parteiorgans „Granma" gibt’s dann auch eine Rubrik „our America". „Unser Amerika" umfaßt alle Staaten Amerikas - Kanada und die USA gehören als einzige nicht dazu. Die nebenstehend abgedruckte Karte zeigt es ganz deutlich. Dort steht dann zu lesen: „presidents of central america ... against Helms-Burton". Ist ja auch logisch, wer läßt sich schon gern von anderen vorschreiben, mit wem er Handel zu treiben hat. Und sogar Heinrich Lummer fordert mit Kuba den politischen Dialog nebst dazugehörigen Wirtschaftsbeziehungen, stand zumindest vor kurzem in der „Berliner Zeitung". Die EU fordert das wohl auch.

Nun kommt die Duty-Free-Abteilung, mit Werbebroschüren in A4. Solch ein Hochglanzpapier habe ich bei uns länger nicht gesehen, ist ja auch out und chlorfrei gebleicht kennen die Kubaner vielleicht nicht. Einige Passagiere kommen sich bestimmt gerade deshalb ziemlich wichtig vor. Erst auf Seite 14 und 15 gibt’s dann die „Productos Cubanos". Warum denn nur so bescheiden, diejenigen die hierher fliegen wollen jetzt bestimmt keine „Camel" rauchen. Einige decken sich auch deshalb schon zaghaft mit Rum und Zigarren ein - man kann ja nie wissen. Übrigens kann man trotz des Embargos viele us-amerikanische Markenartikel auf Kuba erhalten, beim genauen Hinschauen entpuppen sie sich dann meistens als mexikanische Lizenzproduktionen. So wird trotz offizieller Abneigung verdient - Geschäft bleibt Geschäft!

Nach 14 Stunden war es dann soweit: lange Hose gegen kurze wechseln und die Handschuhe richtig verstauen. Der Flughafen in Havanna scheint auf den ersten Blick nicht so ein Luftverkehrskreuz wie Schönefeld zu sein. Ein Bus bringt uns schnell in eine Abfertigungshalle, jetzt aber heißt´s warten. Das Ministerium Interior prüft sehr ordentlich, man weiß ja nie, wie sich der Staatsfeind verkleidet. Nach fast jedem zweiten Passagier wird der Beamte gewechselt. Besonders auffällig ist eine alte Dame. Da wird noch zweimal bei Kollegen nachgefragt, weitere Male Paß und Gesicht verglichen, die Stirn gerunzelt und dann doch die Kopfbewegung in Richtung Tür zum Passieren, ohne aufzublicken. Das ist wie im Krimi. Nachdem sich Gruppen mit Kindern und älteren Leuten vordrängeln - die anderthalb Stunden im Stehen sind auch nicht angenehm - kommt es endlich zum Höhepunkt des ersten Urlaubstages: „Das ist ja schlimmer als im KZ!" meint jemand kurz vor mir laut bemerken zu müssen. Der Mann sieht gar nicht so alt aus. Keiner widerspricht, es gibt nur eine Äußerung, die wahrscheinlich in die gleiche Richtung gehen soll, nur abgemildert und ganz leise: „Das ist ja wie im Osten!". Stimmt auch irgendwo, der Osten ganz weit im Westen.

Am nächsten Tag sind auch wir überzeugt, daß die Zeit gegenüber Deutschland nicht nur um 6 Stunden versetzt ist, sondern die Uhren hier völlig anders laufen. Sogar der Hotelportier hat Mitgefühl und tröstet uns: „always the same thing, always the same thing", als unser Zubringer zum Inlandsflug nach Cayo Largo nicht kommen will. Die Lösung mit einem Taxi, welches 10 Minuten vor Abflug am Flughafen eintrifft und uns doch noch ein pünktliches Einchecken ermöglicht, ist nach der Sicherheitskontrolle vom Vorabend schon fast grotesk.

Die kleine Badeinsel Cayo Largo ist landschaftlich ein Traum. Die Tierwelt bietet Pelikane, Kolibris, Leguane und beim Tauchen und Schnorcheln viele bunte Fische. Warum Kuba aus Afrika Trockenfisch zur Ernährung seiner Bevölkerung importieren muß, konnte uns dort auch keiner erklären. Den Gästen fehlt es dagegen an nichts, vieles wird extra nur für sie importiert. Die Insel ist übrigens nur für Touristen und die Angestellten der Hotels zugänglich. Der Tourismus ist fast der einzige Wirtschaftszweig Kubas der boomt - 1996 kamen lt. kubanischen Angaben erstmals mehr als 1 Mio. Besucher, mehr als dreimal so viele wie in den fünfziger Jahren. Damit fährt die Regierung seit einigen Jahren einen völlig neuen Kurs und gerät auch in arge Erklärungsnot, denn die Exzesse des Tourismus waren für die Revolutionäre um  Fidel Castro eine Argumentationshilfe für den Kampf gegen Batista. Aber wer heute auf Kuba irgendwie am Tourismus partizipiert, gehört wirtschaftlich gesehen zu den Gewinnern.

Die zweite Woche geht’s dann wieder nach Havanna. Nach Hause schreibe ich, die Stadt sei ein Kulturschock,  vielleicht ein bißchen übertrieben, aber auch damit zu begründen, daß ich Europa zum ersten Mal verlasse. Beim 10 minütigen Gang ums Hotel am Abend stechen drei Dinge ins Auge: das Betteln besonders kleiner Kinder, allgemeiner Zerfall der Bauten und Prostitution. Das letztere wird angeblich vom Staat hart bekämpft. Sogar Mütter bieten ihre minderjährigen Töchter an.

Die gesamte Altstadt Havannas gehört lt. UNESCO zum Weltkulturerbe, allein 150 Gebäude gehen auf das 16. und 17. Jahrhundert zurück. Und sie ist wirklich schön, zeugt jedoch nur von altem, bereits sehr verblichenem Glanz, denn seit 1959 ist fast nichts renoviert worden. Viele Häuser sind schon in sich zusammengefallen und „Wenn die Kanalisation kaputt ist, ist sie eben kaputt." meinte eine Kubanerin sarkastisch. Das riecht man an vielen Stellen. Es werden nur die aller notwendigsten Reparaturen durchgeführt und in der Innenstadt müssen viele Häuser durch Tankwagen mit Trinkwasser versorgt werden. Viele zerzauste, herrenlos herumstreunende Hunde runden das traurige Bild ab.

Seitdem es den Kubanern ab 1993 erlaubt ist, Dollars zu besitzen, gibt es im Lande drei Währungen. Neben dem alten Peso gibt es auch noch einen konvertierbaren Peso, der dem Dollar entspricht und überall als solcher akzeptiert wird. Der Dollar teilt das Land. Für ihn ist fast alles zu bekommen. Der Peso dagegen ist nur noch Verrechnungseinheit für Miete, Strom und eine geringe Menge von Lebensmitteln, die gegen Marken abgegeben werden. Sogar der Zucker - dessen Anbau, Veredelung und Export durch ein eigenes Ministerium überwacht wird - ist nur rationiert auf Lebensmittelkarten zu erhalten. Benzin und selbst die beliebtesten Zigaretten gibt es nur noch gegen US-Dollar, was natürlich alten Revolutionären schlecht zu vermitteln ist. Es gibt nichts, was der Kubaner nicht gebrauchen kann, weil alles knapp ist! Ich habe eine Kinoankündigung für „Pulp Fiction" gesehen. Ob der Film in der DDR gelaufen wäre? Jedoch ist natürlich öffentliches kulturelles Leben für den durchschnittlichen Kubaner nicht erschwinglich. Die Jugend feiert ihre Partys daheim, aber dort angeblich richtig. Überhaupt sind die Kubaner sehr lebensfroh und lachen sehr viel, was manchen Touristen bei der eigentlich mißlichen Lage sehr wundert.

Diese „periodo especial" die Castro vor Jahren - nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und damit auch der Unterstützungslieferungen für seinen Inselstaat seinem Volk verkündet hat - drückt sehr aufs Selbstbewußtsein. Da keiner weiß, wie lange diese „spezielle Periode" dauert, sind viele gezwungen ihre angestammten Berufe zu verlassen - auch Akademiker wie Lehrer und Ärzte, da sie natürlich mit Pesos bezahlt werden - und versuchen es in den neuen „Zukunftsbranchen". Die teilweise wirtschaftliche Lockerung führte zur Eröffnung von einigen privaten Gaststätten, auch selbständige Taxifahrer gibt es. Die Risiken sind jedoch noch sehr hoch, da die Steuern nicht im nachhinein auf die Erträge, sondern im vorhinein in hohen monatlich festgesetzten Beträgen zu zahlen sind. Meist läuft es schlecht und führt zum sicheren Ende. In der „Granma" wird dann erklärt, die Leute hätten schlecht kalkuliert. Das ist Wirtschaftsförderung auf kubanisch. Aber die Privaten sollen ja auch nicht dem staatlichen Tourismusmonopol in die Quere kommen. Alles scheint nur der Beruhigung der nicht am Tourismusboom Beteiligten zu dienen. Dieser Spagat läßt jedenfalls keine klare wirtschaftspolitische Linie erkennen.

Che Guevara ist allgegenwärtig. T-Shirts und Postkarten für die Touristen, die Schulkinder müssen jeden Morgen bekennen: „ ... damit wir werden wie Che" und nicht nur in Havannas Revolutionsmuseum ist ihm ein Denkmal gesetzt. Der Mitstreiter von Fidel, der den Sozialismus auch nach Südamerika und Afrika tragen wollte, mußte seine Ideale 1967 mit dem Leben bezahlen. Jetzt in den 90´er Jahren wird der Kult um seine Person von Castro wieder besonders genutzt, um das Volk - in dieser für die Kommunisten wohl schwierigsten Phase der Blockade und Isolation - zusammenzuschweißen und neue revolutionäre Leidenschaft zu entfachen. Aber mir ist aufgefallen, wenn die Leute von Che sprechen, leuchten ihre Augen und ich kann mir nicht vorstellen, dies sei nur irgendwelcher Zwänge wegen gespielt gewesen. Gegen Ende der Reise fragte ich eine Kubanerin, was denn nun eigentlich die Kubaner unter dem Wort Revolution verstehen und sie antwortete mir: „Revolution ist ein Prozeß, welcher nun schon 38 Jahre andauert und wenn irgendwo ein Kalb geboren wird, dann ist auch dies Teil der Revolution!". Aha.

Mirko Denda