Wirtschaftsgeschichte

Der Stolz der Fakultät soll sie sein - die Wirtschaftsgeschichte (laut Aussage von Herrn Blankart), aber mit dem Weggang von Prof. Baar wird der Lehrstuhl vorläufig unbesetzt bleiben, und aufgrund der Sparmaßnahmen kann niemand genau sagen, wie lange. Zum Thema bringen wir ein Interview mit dem Dekan unserer Fakultät Prof. Blankart und einen kurzen Bericht über ein interessantes Seminar zur spanischen Wirtschaftsgeschichte.

Nachgehakt

Hermes: Ist die Streichung von fünf Professorenstellen an unserer Fakulät aus Ihrer Sicht noch abwendbar?

Prof. Blankart: Die Forderung der EPK (Entwicklungsplanungskommission, d. Red.), fünf Professorenstellen mit Folgestellen in der WiWi-Fakultät zu streichen, entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Nichts spricht dafür, daß die Einsparquote der Fakultät über der durchschnittlichen Einsparquote der Universität liegen soll. Überdies ist der EPK ein Rechenfehler zu unseren Ungunsten unterlaufen. Ich werde als Dekan alles daransetzen, die Kürzung auf die von der Universitätsleitung im Juni 1997 festgelegte Zahl von zwei Professuren zu reduzieren. Im ganzen bin ich zuversichtlich.

Wie sieht die Zukunft des Lehrstuhls für Wirtschaftsgeschichte nach dem Wegang von Prof. Baar aus? Kann man Studenten am Beginn des Hauptstudiums zur Zeit überhaupt empfehlen, das Fach Wirtschaftsgeschichte zu belegen?

Die Fakultät hat beschlossen: „Es soll dafür Sorge getragen werden, daß das Institut für Wirtschaftsgeschichte erhalten bleibt.“ Vorläufig wird das Wahlpflichtfach Wirtschafts-geschichte durch Lehrbeauftragte weiterangeboten.

Falls es eine Neuaussschreibung dieser Professur gibt: Welche inhaltliche Ausrichtung sollte sie haben - z.B. eine stärkere quantitativ-empirische?

Es ist beschlossen, die Professur mit dem Schwerpunkt „Volkswirtschaftslehre/ Wirtschaftsgeschichte“ auszuschreiben. Dies wird jedoch frühestens zum Ende dieses Wintersemesters möglich sein. Eine weitere Eingrenzung der Qualifikation ist nicht vorgesehen, damit zwischen möglichst vielen Bewerberinnen und Bewerbern ausgewählt werden kann.

Das Lehrangebot „Geschichte der Wirtschaftstheorie“ fehlt zur Zeit ganz, obwohl es zum Verständnis vieler anderer Theorien in anderen Veranstaltungen wichtig ist. Wird das Fach wieder angeboten?

Theoriegeschichte ist zum Verständnis des modernen Wirtschaftswissenschaftlichen Denkens von großer Bedeutung. Diesbezüglich teile ich Ihre Ansicht. Die Struktur- und Berufungskommission mußte indessen Prioritäten setzen und hat daher für dieses Fach keinen Lehrstuhl vorgesehen. Wir haben uns bisher so beholfen, daß über die Lehraufträge „Geschichte der Wirtschaftstheorien I und II“ im Wahlpflichtfach Wirtschaftsgeschichte eine Lehr-einheit angeboten wird. Im übrigen werden in den Fachvorlesungen dogmengeschichtlich relevante Theorien aufgegriffen und dort abgehandelt.

Spanische Wirtschaftsgeschichte

Ich will einen Satz aus dem Interview mit Prof. Baar aus Hermes 11 aufgreifen. Er sagte: „ Ich bin auch der Meinung, daß in einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium nicht nur Modelle eine Rolle spielen dürfen, sondern daß man auch durch Empirie zu theorietischen Schlüssen kommen sollte.“

Richtig, aber vielleicht muß das gar kein Widerspruch sein. Ein Beispiel für dieses empirische Herangehen habe ich in einem Seminar während meines Auslandssemesters an der Universität Carlos III Madrid kennengelernt. Es ging um die spanische Wirtschaftsgeschichte, aber nicht in Form von chron(olog)ischer Langeweile, von dazumal bis heute, sondern in Form von Fallstudien unter einer übergreifenden Fragestellung: Was sind die Ursachen für die verspätete Wirtschaftsentwicklung der Mittelmeerländer, insbesondere Spaniens? Außer den historischen Fakten spielten also verschiedene Theorien über wirtschaftliche Entwicklung eine Rolle.

In einzelnen Kapiteln ging es dann um Aspekte wie die Auswirkungen des Verlustes der Kolonien in Übersee auf die spanische Wirtschaft, die rückständige Landwirtschaft, die Industrialisierung, die Rolle des Staates und des Bankensektors. Beim Thema Arbeitsmarkt zeigte eine Studie, daß man auch in der Wirtschaftsgeschichte mit quantitativen Methoden zu interessanten Ergebnissen kommen kann, in diesem Fall mit einem einfachen ökonometrischen Modell: Sie untersuchte, wie es zur Massenemigration aus Europa, besonders Südeuropa zum Ende des 19. Jahrhunderts kam - neben der Lohndifferenz waren auch andere Faktoren wie die Emigration der Vergangenheit (weil Freunde und Verwandte im Zielland Arbeit und Wohnung besorgten) und der Grad der Industrialisierung signifikant. Andere Studien konkretisierten diese allgemeinen Ergebnisse für bestimmte Regionen wie Andalusien oder Galizien.

Wären nicht ähnlich gelagerte Fallstudien für Deutschland oder andere europäische Länder interessant? Die industrielle Revolution in Deutschland, die Weltwirtschaftskrise, die Industrie im 3. Reich wären sicher Material für einige Seminare. Und dabei müßten sich auch quantitative Methoden und geschichtliches Denken nicht ausschließen.

Carsten Sprenger