Urlaub bei der UÇK

Ein Praktikum fernab von Kopierer und Kaffeemaschine kann man erleben, wenn man als Flüchtlings- und Entwicklungshelfer für die Vereinten Nationen arbeitet.

„Du weißt gar nicht, wie gut es Dir hier geht“. Gehaßt habe ich diesen Spruch schon immer und eigentlich tue ich es noch heute, nur mit dem Unterschied, daß ich inzwischen persönlich erfahren mußte, wie richtig diese Aussage ist.
HCC (www.hcc-berlin.org) steht für Humanitarian Cargo Carriers und ist eine kleine Hilfsorganisation aus Berlin, für die ich im Sommer 1998 einige Wochen in Albanien, nahe der Grenze zum Kosovo, gearbeitet habe. Ohne mich als besonders humanitäres Wesen bezeichnen zu wollen, bin ich vor Monaten auf den HCC aufmerksam geworden. Journalistische Neugier und vielleicht auch etwas Abenteuerlust trieben mich anfangs dazu, dieses Projekt aktiv zu begleiten.

Zu dritt machten wir uns mit einem Geländewagen auf den Weg nach Albanien, durch Italien bis nach Bari und dann mit der Fähre nach Durres, einer albanischen Hafenstadt. Alles was ich bis dahin über dieses Land wußte, waren ein paar spärliche geographische Fakten aus der Schule und die letzten politischen Ereignisse aus dem Fernsehen.
Was gleich positiv auffällt, ist die mediterrane Landschaft und die Gastfreundschaft der (meisten) Menschen hier. Doch deswegen waren wir leider nicht hier. Nach wenigen Tagen in der Hauptstadt Tirana ging es zu unserem eigentlichen Ziel, Bajram Curri nahe der jugoslawischen Grenze. Zweimal wöchentlich geht der LKW-Shuttle des HCC von Tirana u.a. nach Bajram Curri. Im Auftrag der verschiedenen Hilfsorganisationen werden Hilfsgüter dorthin gebracht, wo sie am nötigsten gebraucht werden. Die Überfälle der Vergangenheit machten es notwendig, das diese Transporte von einer Spezialeinheit der Polizei eskortiert werden, dabei dürfte Albanien das einzige Land sein, in dem Fahrer und Polizei vorher mit hochprozentigem Raki anstoßen.

War das Leben bis dahin noch relativ erholsam und ruhig, so sollte sich das in den nächsten Wochen ändern. Für die 250 Kilometer, die auf der Karte wie eine Autobahn aussehen, aber doch nur ein geschotterter Gebirgspaß sind, benötigen die drei Lkw's knapp neun Stunden. Mir fallen die Worte eines Freundes ein, der fragte: „Was willst Du in Albanien? Dort sieht es aus, wie im Mittelalter.“ und damit Recht hatte. Richtige Straßen gibt es nicht, Eisenbahn erst recht nicht und elektrifiziert sind auch nur die Gebiete, die eine dieser kleinen Talsperren in der Nähe haben. Bis auf einen versuchten Überfall kommen wir ohne Probleme in Bajram Curri an. Die Stadt liegt auf einem Hochplateau inmitten der Karpaten. Die Häuser sehen weniger wie Mittelalter, sondern eher wie Marzahn aus. Einschußlöcher in den Fassaden erklären, warum die Fensterrahmen mit Klarsichtfolie bespannt sind.
Im Schulgebäude haben sich UNHCR (die Flüchtlingskommission der Vereinten Nationen), wie auch HCC, eingerichtet. Wenige Meter davon entfernt ist das Appartement, wo wir die nächsten Nächte verbringen werden. Draußen ist es noch warm, so daß das fehlende Glas nicht stört. Ungewohnt ist es jedoch, mehrmals in der Nacht von Schüssen, Explosionen und Schreien aus dem Schlaf gerissen zu werden. Bereits am ersten Tag im ‚Krisengebiet´ wurde ich voll in das Geschehen mit eingebunden. Ein (nicht lange) weißes T-Shirt, ein Funkgerät am Gürtel und ein in Folie geschweißter Ausweis, der von nun an immer an meiner Hosentasche baumelte, sollten mein Sicherheitsgefühl bestärken und die Arbeit erleichtern. Mit Jeep und Kollegen fuhr ich in die vier Stunden entfernte Nachbarstadt, um Ersatzteile für die Lkws zu besorgen. Alles kein Problem – bis zur Rückfahrt. Einen Großteil der Strecke hatten wir bereits hinter uns, als hinter einer Kurve zwei maskierte Männer auf die Straße sprangen, die Kalaschnikow im Anschlag, erst in die Luft feuerten und dann auf uns zielten. Es ist immer ein merkwürdiges Gefühl in das böse Ende einer Pistole oder MPi sehen zu müssen und sollte auch nicht das letzte Mal sein. Ohne wirklich zu verstehen, was sie wollten, hielten wir an und stiegen mit erhobenen Händen aus. Nachdem sie uns Geld und Funkgeräte abgenommen hatten, jagten sie uns den Abhang neben der Straße hinunter, um in Ruhe mit dem Auto verschwinden zu können. Froh am Leben zu sein, rappelten wir uns nach mehreren Schrecksekunden auf und machten uns nun ohne Auto auf den Weg, die vor uns liegenden knapp 20 km durchs Gebirge, vor Einbruch der Dunkelheit, zu bewältigen.

Da der Transport von Hilfsgütern nicht die einzige Aufgabe war, blieb ich die nächsten Tage in der Stadt, um auch die Seite der Flüchtlingshilfe kennenzulernen. Die nächsten Tage sahen dann so aus, daß sich jeden Morgen 4.30 Uhr der Radiowecker meldete, um uns mit der heimlichen Hymne des Kosovo „Gangsta`s Paradise“ zu wecken. Punkt 5.00 Uhr stand dann Idris, unser Fahrer, vor der Tür, um den Arzt und mich zum täglichen refugee-pickup abzuholen. Unsere Route führte uns Richtung Zogaj, ein kleines Dorf nördlich von BC. Der Unimog kämpft sich langsam die Strecke entlang, vorbei an verlassenen Siedlungen und stillgelegten Chrom-Tagebau. Im Laufe der Zeit haben sich in den Dörfern regelrechte Anlaufstellen für die Flüchtlinge herausgebildet. Meist hat die komplette Familie den heimatlichen Kosovo verlassen. Den mehrere Tage dauernden Fußmarsch durchs Gebirge überleben nicht alle von ihnen, dafür sorgen serbische Milizen, deren Minenfelder oder die Strapazen der Flucht. Ich selbst hielt mich bis dahin immer für ziemlich abgebrüht, aber wenn man erst mal mit dem ganzen Elend konfrontiert wird, gleichzeitig aber auch dazu beiträgt, dieses Leid zumindest minimal zu lindern, die Opfer in dir ihren „Retter“ sehen und extra deutsche Dankesworte lernen, dann geht das einem sehr Nahe. Kleine Kinder, die mit ansehen mußten, wie ihre Eltern erschossen oder von Minen zerfetzt wurden, sich bedanken und einen umarmen, versuchen bei mir heute noch weiche Knie. Alle Flüchtlinge wurden vom anwesenden Arzt untersucht und, wenn nötig, gleich medizinisch versorgt. Meine Aufgabe war es, das Trinkwasser und die BP-5 (sprich: bipi-feif), die krisenerprobte Kompaktnahrung, zu verteilen, um dann das Auf- und Abladen zu koordinieren. Egal welcher Wochentag, refugee-pickup war täglich zu erledigen. Für den Rest des Tages blieben dann immer noch genügend andere Aufgaben, wie Fahrzeuge warten, tanken und den gesamten Papierkram erledigen.

Für die Kommunikation standen uns ein Satellitentelefon bzw. E-mail zur Verfügung. Von dort erfahren wir auch von den Verhandlungen der NATO mit Milosevic, die uns von hier nicht schnell genug gehen können (und schließlich doch keine echte Lösung brachten!). Was sonst noch so in der Welt passiert erfahren wir von den Fernsehteams, die hier immer wieder auftauchen, um ein Interview bitten. Für sie ist es „das Kolumbien Europas“ oder „Mogadischu mit Bäumen“. Die meisten von Ihnen, wissen schon ganz genau, wie der Beitrag aussehen wird und suchen nur noch die entsprechenden Protagonisten: das Elend bitte möglichst groß, blutende Wunden und vielleicht noch eine Leiche, wenn möglich. Am Ende merke ich, daß ich mich immer mehr mit der Arbeit von UNHCR identifiziere, mein albanisch besser wird und ich irgendwann – wenn es auf dem Balkan endlich ruhig ist – als Tourist wiederkommen möchte.

DB