Romanciers mit Restwert

Schon mal etwas von Wirtschaftslyrik gehört? Nein?
Macht nichts, einfach weiterlesen...

Es ist immer wieder erstaunlich, wozu langweilige Vorlesungen gut sein können. In diesem Fall ermöglichte eine solche drei Berliner Wirtschaftsstudenten, den erheblichen Mangel schöngeistiger Materie bei BWL und VWL aufzudecken. Die so verursachte produktive Unruhe führte sie in monatelanger Forschungs- und Recherchearbeit zur Gründung einer neuen Fachrichtung: Wirtschaftslyrik!

Wirtschaftslyrik versteht sich als Ausgleich zu der übertrieben strukturierten Fachliteratur und den Vorlesungen mit ihrem hohen Formalisierungsgrad. Normalerweise hat ein Betriebs- oder Volxwirt-schaftsstudent während seiner Zeit an der Hochschule keine Chance sich, mit einer epischen Gliederung, dem richtigem Versmaß oder einem guten Spannungsbogen vertraut zu machen. Bisher waren die Lehrbücher voll mit Situationen, deren Beteiligte sich lieber proportional, statt emotional zueinander verhalten, in denen offene Rechnungen – nicht wie bei richtigen Männern – sondern über Abgrenzungsposten beglichen werden und wenn dann mal nach einer Unbekannten gesucht wird, steht sie von Anfang an fest und heißt X. Die sich daraus ergebenden Spätfolgen sind bekannt: Ideenlosigkeit, Neubauwohnung, Ellenbogenschoner oder eine Habilitation.

Das soll mit Wirtschaftslyrik geändert werden, ohne dabei die Zusammenhänge der Ökonomie zu vernachlässigen. Gern gesehen werden Studenten, die sich aktiv in das Fach einbringen möchten, vor der eigenen Kreativität nicht zurückschrecken, eine Klausur auch mal als Rap bringen und eines der Projektthemen übernehmen möchten. Als Beispiel eine kleine Übersicht der letzten Arbeiten:

Gewinn- und Verlustrechnung bei Faust I, Die erste und zweite Ableitung des fünfzeiligen Jambus, Die arbeitsrechtlichen Verhältnisse der schlesischen Weber, Das Konfidenzintervall der satanischen Verse.

Unnötig zu sagen, daß WL als Wahl-pflichtfach angedacht ist, einen Großteil des Hauptstudiums in Anspruch nimmt und dem Studenten nach der Diplomarbeit (in Versform) den Einstieg in nahezu jeden Beruf ermöglicht, so wie es heute nur Keramik- oder Politologiestudenten kennen. Eliteuniversitäten werden das Fach bereits im Grundstudium verpflichtend einführen, um somit die Lücke zwischen Ökonometrie und Wirtschaftsgeschichte zu schließen.

Das es sich bei Wirtschaftslyrik nicht um ein verquollenes Hirngespenst handelt, sondern sich auch schon an der WiWiFak der Humboldt-Universität erste Aktivitäten abzeichnen, sollen die nachstehenden Kostproben beweisen, die dem Autor von Mitgliedern der autonomen Hochschulgruppe ‘stille reserven’ zugespielt wurden:

Ballade vom Dilemma der Gefangenen

Zwei üblen Gaunern, A und B,
geht es nicht gut, sie sind gefaßt;
nun steht die Frage, man versteh’
Wer muß denn länger in den Knast

Gesteht nur einer das Verbrechen,
so kann er gehen als freier Mann.
Der andre Schurke muß dann blechen,
ihn kriegt man ohne Gnade dran.

Sind zu gestehen, die zwei bereit,
so wird ein Mittelweg gefunden.
Wasser und Brot die halbe Zeit
sind als Strafe recht schnell verwunden.

Gesetzt den Fall, daß beide leugnen,
das wär’ für sie der beste Deal.
Nur kurz in den Bau, dann heim zu Freunden,
für A und B das größte Ziel.

Wenn niemand mehr Verschlechterung kennt,
wenn es dem andren besser geht,
heißt das pareto-effizient,
wie’s in der letzten Strophe steht.

BUR

Gedanken am Tage

Mathe I, Oh Gott, bei Brandt,
bei Ökonometrie dann weggerannt,
und als Burda dann mit Differenzengleichung droht,
da wünscht ich, ich wär’ doch lieber tot.

@wü

Ode an Theo

Immer habe ich Dein gelbes Skript verehrt,
es war mir manchen pagatorischen Aufwand wert.
Doch lange bin ich nicht in Deiner Vorlesung geblieben,
meine Aufmerksamkeit ist geometrisch-degressiv abgeschrieben.
Wenn ich dann beim Rausgehen über die Schulter schau’
Rufst Du mir zärtlich zu: GuV!

S.T.O.R.M.Y

Aufruf!

Gerne würden wir diese Serie in den nächsten Hermes-Ausgaben fortsetzen. Jetzt habt Ihr die Möglichkeit, einem neuen Fach eine Richtung zu geben und man nennt Euch später in einem Atemzug mit Keynes und Gutenberg. Alle, die sich dazu berufen fühlen, lassen ihre Werke, die sich nicht reimen müssen, bitte der Redaktion zukommen.

(DB)