Eine nicht gehaltene Abschlussred

Ein paar Wochen nach der letzten Diplomvergabe im April bat mich der Hermes aufzuschreiben, was ich dort als studentischer Redner gesagt hätte. Daniel Goersch, der Studentenvertreter am Rednerpult, wünschte sich für die Zukunft mehr Praktikumsangebote durch Vermittlung der Uni und eine kleine Pause in den 90minütigen Vorlesungen. Das hört sich nach wenig Problemen an.

Ich kam erst 1994, nach den chaotischen Jahren der Neustrukturierung und Neuberufungen an diese Fakultät. Ich habe mich nach einem gut organisierten, aber anonymen Grundstudium an der TU Berlin hier, in dem überschaubaren Fachbereich viel wohler gefühlt, Freunde gefunden und nicht zuletzt ein zwar etwas einseitig quantitativ ausgerichtetes, aber qualitativ hochwertiges Angebot in VWL vorgefunden. Trotzdem blieb mir als Hinzugekommener nicht verborgen, daß man bei dem Personalaustausch an der Fakultät wohl übers Ziel hinausgeschossen war und einige sehr qualifizierte und nicht belastete Dozenten gehen mußten – zum Teil unter unwürdigen Bedingungen. Im Ergebnis der Neuberufungen gibt es bis heute kaum weibliche und ausländische Professoren. Das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen ist im wesentlichen das zwischen Sekretärinnen und Chefs.

Obwohl ich die Humboldt-Uni als weniger anonym als die TU empfand, hätte ich mir doch mehr Kommunikation gewünscht – zwischen den Studenten (warum lernt man sich viel leichter bei Sport- oder Sprachkursen kennen als in einem VWL-Seminar?) als auch mit den Professoren. Sicherlich gab es bei mir am Anfang die Scheu, einfach in die Sprechstunden zu gehen, aber vielleicht fehlte auch ein bißchen das Angebot. Gerade im Hauptstudium sollte die kreative Anwendung des Wissens mehr gefördert werden. (Vielleicht meinte das Daniel Goersch mit der Forderung nach mehr Praktika. Für die Organisation von Unternehmenspraktika halte ich die Universität aber eigentlich nicht für zuständig, das können die Studenten gut selbst in die Hand nehmen.) Genau diese Kreativität meint ja das so oft zitierte Ideal der Einheit von Forschung und Lehre: die Studenten sollen nicht belehrt, sondern angeleitet werden. Wissenschaft ist nicht ein Batzen Wissen, sondern der Erkenntnisprozeß, „etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes“ (Wilhelm von Humboldt). Und dafür hat es mir manchmal an der nötigen Kollegialität gefehlt, von der auch die Professoren profitieren könnten, wenn wir Studenten sie mit unseren Fragen vor möglicher Fachblindheit oder Einseitigkeit bewahren.

In einigen Bereichen hat sich meiner Meinung nach die Kooperation zwischen Professoren und Studenten schon sehr verbessert - so ist die Evaluation der Lehre nach anfänglichen Widerständen inzwischen weitgehend akzeptiert. Das Bemühen, mehr ausländische Studenten anzuziehen, hat erste Erfolge. Die mit dem Studentenrat ausgearbeitete und probeweise eingeführte VWL-Prüfungsordnung mit dem Credit point-System bleibt erhalten und kommt bald auch den BWLern zugute.

Was mich immer etwas genervt hat, war das ständige Gerede von der Elitefakultät. Das wurde mit der Zeit zum geflügelten Wort für die Elitecomputer, Elitehörsäle und Elitemensa. Ich habe mit diesem Begriff immer die Abschottung vom Rest der Universität assoziiert, und wahrscheinlich will man auch wirklich ein bißchen was Besseres sein. Wenn man aber eine zukünftige Elite erziehen möchte, so bedeutet das für mich die Vermittlung von Werten: durch Einbeziehung eines studium generale, wirtschaftsethischer und ökologischer Fragestellungen in den Studienplan und durch prägende Persönlichkeiten unter den Lehrenden, die durch ihr Auftreten ihrem eigenen Verhaltensmodell, dem des nutzenmaximierenden Egoisten widersprechen.

Carsten Sprenger