Abschlußrede

Was sagt man als studentischer Redner auf der Absolventenfeier unserer Fakultät?

In den letzten Semestern hatte sich eingebürgert, hauptsächlich allen Personen zu danken, die irgendwie am Erfolg des persönlichen Bildungsweges derjenigen Person beitrugen. Nicht so A.H. Er sprach über die Liebe an unserer Fakultät.

"Guten Tag liebe Anwesende, mein Name ist A. H., und ich habe die Ehre, einige Worte im Namen aller Absolventen an Sie zu richten - eine Aufgabe, die mir vom Studentenrat übertragen wurde.

Die gemeinsame Studienzeit ist nun Geschichte und für viele von uns wohl beinah zu schnell vergangen. Um so mehr möchte ich die Gelegenheit nutzen, einige schon fast vergessene Augenblicke in unsere Erinnerung zurückzurufen. Bei der Suche nach einem angemessenen Thema stieß ich auf etwas Besonderes, das wohl jeder von uns kennt, etwas nach dem sich jeder sehnt, und das sich jeder wünscht. Das uns im täglichen privaten wie im wirtschaftlichen Leben begleitet ... und das dennoch bis zum heutigen Tage kaum einen Platz in der Wirtschaftswissenschaft findet und weder in Lehrbüchern erwähnt noch in irgendeiner Vorlesung behandelt wird - und das meine Damen und Herren ist sehr bedauerlich, denn dieses Thema heißt Liebe.

Der Volksmund sagt ja: "Liebe ist das höchste Glück auf Erden". Deshalb soll folgende Frage den Rahmen meiner Ausführungen bilden: "Hat ein wirtschaftswissenschaftliches Studium an der HUB überhaupt irgend etwas mit Liebe zu tun und wenn ja, was könnte aus Sicht der Absolventen getan werden, damit zukünftige Studenten noch glücklicher wären?"

Um meine Überlegungen empirisch zu untermauern, habe ich eine Befragung von 64 Studentinnen und Studenten unserer Fakultät zu diesem Thema durchgeführt. Ich bin zu folgenden Ergebnissen gelangt.

Auf die Frage: Wie stark ist Deine Liebe zu Deinem Hauptfach BWL/VWL? antworteten die Befragten im Mittel, diese Liebe sei [ausgeprägt] bis [stark]. Die VWLer schneiden hierbei etwas besser ab als die Betriebswirtschaftler. Ich denke, ... in jedem Falle ist dies bereits ein erstes Indiz dafür, daß ein Studium hier nicht ohne Liebe zu bewältigen ist. Um so erfreulicher deshalb die Leistung eines jeden einzelnen, der heute sein Diplom erhalten hat. Und ich möchte noch einmal betonen liebe Eltern und Gäste: 4, 5 oder 6 Jahre Studieren heißen eben nicht Langzeiturlaub, sondern harte Auseinandersetzung mit geliebten, aber oft auch ungeliebten Themen.

Nun, Liebe ist meist zweiseitig, nur wer Liebe gibt, wird Liebe empfangen. Wie sieht es denn mit der Liebesbeziehung zwischen Studenten und ihrer Fakultät bzw. ihren Einrichtungen aus? Nehmen wir z.B. die Bibliothek. Hier versammeln sich ins-besondere vor Semesterende Scharen von Studenten und verbringen Tage und Wochen vertieft in Bücher und Skripte. Dies wird unterstützt von den Ergebnissen der Umfrage, ... immerhin 78 Prozent aller Befragten antworteten, daß ihr Verlangen nach Wissen [stark] oder [sehr stark] sei. Um so glücklicher wären zukünftige Studenten, wenn die Öffnungszeiten der Bibliothek erweitert werden könnten (Freitags ist sie beispielsweise nur bis 14.00 Uhr geöffnet). Bücher können auch nur über das Wochenende ausgeliehen werden. Und viele Bücher oder Zeitschriften werden erst gar nicht bestellt, so daß solche Quellen aus Dahlem, Cottbus oder sogar München angefordert werden müssen. Dies ist sicherlich ein Ergebnis der harten Sparpolitik des Landes Berlin, welche wohl überhaupt nichts mit Liebe zu tun hat.

Nehmen wir als zweites: Unsere Mensa oder Cafeteria: auch hier finden sich täglich hunderte Studenten und bilden lange Schlangen beim Warten auf ihr Mittag. Ja liebe Anwesende, und was dann geschieht ist einzigartig, dort wird wahre Liebe praktiziert. Denn es wird ohne murren und zucken gegessen und gefressen, was auf den Tisch kommt. Und das Küchenpersonal weiß dies zu schätzen. So kommt es vor, daß Essen vom Vortag liebevoll aufgewärmt wird, um auch denen eine Chance zu geben, die am vorigen Tage nicht essen konnten. Lobenswert erscheint auch die Kombinationsvielfalt bei der Speisenzusammenstellung. Auf Basis von nur vier Zutaten werden schnell 5, 6 oder mehr Gerichte angeboten. Ungeschlagen bleibt das Preisniveau. DM 2,80 oder 3,10 lassen nicht nur verliebte Studentenherzen höher schlagen

Nun zum Fakultätsgebäude: Seine Ausstrahlung läßt nicht viele ins Schwärmen geraten. Eine farbenfrohere Innengestaltung wäre ebenso wünschenswert wie die längst ausstehende Hofbegrünung. Ungeachtet dieser bestechenden Schlichtheit bekannten sich immerhin 6% aller Befragten dazu, bereits einmal Liebe in diesem Gebäude gemacht zu haben. Nicht auszudenken, was hier passieren wird, wenn erst einmal unsere Kapelle in neuem, romantischerem Lichte erstrahlt.

Zu nennen wäre noch das Prüfungsamt, oft meine ich zu Unrecht diskreditiert. Denn die räumliche Abgeschiedenheit des PA läßt es kaum zu, daß sich Liebe entwickeln kann. Wie Liebe aber ökonomisch bewertet werden kann, zeigt die Prüfungsordnung. Wer wegen einer verschlafenen Liebesnacht den Anmeldetag für seine Prüfung verpaßt, muß unter Umständen sein Studium um ein ganzes Semester verlängern. Und daß dies schnell zu volkswirtschaftlichen Kosten in Höhe von mehreren Tausend DM führt, braucht nicht weiter erläutert zu werden. Hier wären flexiblere Regelungen im Interesse aller Beteiligten angebracht.

Liebe betrifft eben die Menschen, die hier ein- und ausgehen. Und zu denen im besonderen komme ich jetzt. Nehmen wir die Beziehungen von Studenten zu den Lehrkräften: Nur 11% aller Befragten antworteten, sie sind bzw. waren in eine Professorin oder einen Professor bzw. eine Assistentin oder Assistenten verliebt. Offensichtlich besteht hier noch erhebliches Potential, auch um das Thema "Liebe" theoretisch zu vertiefen. Dem entgegenkommen würden verlängerte Sprechzeiten der Institute und vor allem mehr Seminarveranstaltungen, um sich besser kennenzulernen und auszutauschen.

Die Liebe der Studenten untereinander ist eine ganz besondere. Studenten können sich hier glücklich schätzen, denn sie studieren und arbeiten in einzigartiger Weise zusammen. Es gibt kaum "Ellbogen-Denken" sondern eher ein liebevolles Miteinander in Lerngruppen wie auch bei gemeinsamen WiWi-Parties. Und so verwundert es nicht, wenn 21% aller Befragten hier ihre große Liebe gefunden haben. Der hier praktizierte Fair-play-Gedanke im Miteinander - und damit will ich auch schließen - dieser Gedanke, der für viele Studenten noch selbstverständlich ist, diesen sollten wir uns bewahren. Und er ist sicherlich neben dem angeeigneten Wissen und der erworbenen Fähigkeit, wissenschaftlich zu arbeiten, eines der wichtigsten Dinge, die wir aus dieser Studienzeit mitnehmen. Eine Zeit, die wie sich bei genauerer Betrachtung herausstellt, doch so voller Liebe war.

Sorgen wir dafür, daß trotz aller Karrierechancen und beruflicher Herausforderungen, die nun vor uns stehen, diese Liebe im Studieren wie im Leben auch unseren Kindern gehört.

Ein Dank gilt noch einmal allen, die einen Beitrag an unserem erfolgreichen Abschließen haben. In diesem Sinne alles Gute und vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit."

A.H.