Wrasenbildung direkt vor der Uni

Besteht Lebensgefahr?

Ihr alle kennt bestimmt den formschönen, grauen Lüftungsschrank vor unser aller Fakultät, auf halbem Weg zur Straßenbahnhaltestelle Hackescher Markt. Und auf eben jenem, mir nach Jahren des Vorbeigehen liebgewonnenen Lüftungsschrank lese ich seit Beginn meines Studiums täglich die folgende Aufschrift: „Lüftungsschrank - keine Gefahr bei Wrasenbildung“.

Früher habe ich das einfach so ohne weiteres Nachdenken hingenommen, höchstens grübelte ich darüber, warum der ganze Text dort in Anführungszeichen steht. Aber inzwischen frage ich mich: Stimmt das denn überhaupt? Wird uns hier nicht etwas vorgegaukelt? Werden wir nicht in falscher Sicherheit gewogen? Ähnlich wie bei Tschernobyl und BSE behauptet wurde, dass die Bevölkerung unter keinen Umständen betroffen sei, wird hier einfach pauschal erklärt, bei Wrasenbildung bestünde absolut keinerlei Gefahr. Sicher, noch hat man von keinen ernsthaften Zwischenfällen gehört, in die Wrasen verwickelt waren. Aber dass bei einer solchen potentiellen Gefährdung von Leib und Leben die Berichterstattung von höchster Stelle aus manipuliert werden kann, ist ja allgemein bekannt.

Ich werde es auf jeden Fall nicht weiter hinnehmen, jeden Tag mehrmals einen potentiell lebensgefährlichen Lüftungsschrank links liegen zu lassen, im trügerischen Glauben, dass mir bei einer eventuellen Wrasenbildung schon nichts passieren wird. Vielleicht setzt ja ein jeder von uns täglich unser Leben für diese kurze Zeit, die wir in Wrasenreichweite sind, leichtfertig aufs Spiel. Ich finde eine Lebensbedrohung, ausgehend von dem kurz bevorstehenden Einsturz unserer gesamten Fakultät, genügt pro Tag. So konnte es nicht weitergehen.

Nachdem uns außerdem über Jahre hinweg viele, viele besorgte Studenten angesprochen haben, dass wir dringend weitere Nachforschungen anstellen müssen, inwieweit wir es hier mit einer tickenden Zeitbombe in Form von sich hinterhältig bildenden Wrasen zu tun zu haben, entschloss ich mich, der Bedrohung unerschrocken ins Auge zu sehen. Als erste Recherche habe ich erkundet, ob in ganz Berlin lediglich unsere Fakultät Opfer des Albtraums eines heimtückischen Wrasenaustritts werden kann. Und siehe da: Nein! Es besteht eine weitere potentielle Wrasenbildung in der Leipziger Strasse, ausgehend von einem Zwillingslüftungsschrank des unseren, auf dem genauso heuchlerisch behauptet wird, dass auch dort bei einer wahrscheinlich unaufhaltsamen Wrasenbildung ebenso keine Gefahr bestände.

Zwar fand ich bisher in gewisser Weise auch beruhigend, dass selbst dann keine Gefahr besteht, wenn etwas passiert von dem man absolut keine Ahnung hat, was das eigentlich ist. Aber vielleicht, wenn ich dann mal so eine Wrase zu Gesicht bekomme, denke ich mir „Aber natürlich, das ist eine Wrase, logisch, warum bin ich da nicht schon viel eher drauf gekommen?“ Und dann merke ich, wahrscheinlich zu spät, dass von diesen Wrasen mitnichten keine Gefahr ausgeht.

Also rief ich kurzentschlossen das Tiefbauamt an, das ich hinter diesem tückischen Lüftungsschrank vermutete. Von dort wurde die Verantwortlichkeit natürlich immer weiter auf andere Stellen geschoben, bis man am Ende mit dieser brisanten Sache überhaupt nichts mehr zu tun haben wollte und ich erfuhr, dass angeblich nicht die Stadt, sondern die Bewag, genauer gesagt die Unterabteilung Fernwärme für dieses Damoklesschwert vor unserer Haustür verantwortlich ist, woraufhin ich mich bekräftigt sah in meinem Entschluss, jetzt erst recht energisch und wagemutig der Sache auf den Grund zu gehen. Ich schickte wie David gegen Goliath also folgende E-Mail an die scheinbar übermächtige Bewag:

Und siehe da, die Bewag hat, anders als noch die Betreiber von Tschernobyl anscheinend einen ständigen Krisenstab zur sofortigen Beseitigung von kritischen Stimmen aus dem Volke und schickte innerhalb einer Woche folgendes Volks-Beruhigungsschreiben, damit sich auch ja keine revolutionäre Stimmung im Studentenlager bilden kann, denn wo so etwas hinführen kann, hat man ja 1968 gesehen.

Da haben wir es! Verbrennen kann man in den Dingern! Ich wusste es. Und die Bewag anscheinend auch, sonst würden sie nicht am laufenden Meter Kontrollen durchführen. Ich kann auf jeden Fall jeden verstehen, der jetzt statt am Hackeschen Markt lieber am Alex aussteigt und den Rest zu Fuß geht, um sich gar nicht erst den angeblich „ungefährlichen“ Wrasen auszusetzen.

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