Survival of the fittest

Rückblick eines Erstsemesters

Survival of the fittest. So oder so ähnlich stellte ich mir als Studienanfänger das Studium an unserer Fakultät vor.

Nun ist bald ein Jahr vergangen und dies gibt Anlass zurückzuschauen auf ein mehr oder weniger erfolgreiches Jahr als ” Erstie”.

Noch bevor ich mein Studium antrat, hatte ich schon allerhand über die Anforderungen und Studienbedingungen an der HU gehört, (“VWL an der HU ist wie ein elitärer Matheleistungskurs, auf einem überfüllten Hauptbahnhof, mit griesgrämigen Professoren, die die Durchfallraten maximieren”). Ich kam mir somit schon fast als unbelehrbar vor, als ich an einem grauen Montagmorgen zum ersten Mal den 201 betrat. So wunderte es mich dann auch gar nicht, als ich schon während der Begrüßungsreden auf der Fensterbank Platz nehmen musste. Die letzten Hoffnungen, dass alles gar nicht so schlimm werden würde, wurden in den nächsten Stunden erfolgreich vernichtet. So wurde die Fakultätsleitung schon in den Begrüßungsreden nicht müde zu betonen, dass unsere Fakultät sehr quantitativ ausgerichtet ist. Wer nun das Gefühl hatte “ach, das schaff ich schon” , wurde kurz darauf von Ralf Steinhauser über die Abbrecherquoten unterrichtet, nach dem Motto: jeder zweite von euch wird das Studium schmeißen. Nach diesen Aufmunterungen wurden wir über das zu absolvierende Klausurenpensum aufgeklärt, “25 Klausuren in vier Semestern klingt viel...” (kurzes Hoffen), “... und ist auch viel !”

Ein kurzer Rundgang durch unsere Fakultät geriet dann aufgrund der zahlreichen Baufälligkeiten sehr kurz. “Eigentlich hatten wir dort noch ein Prüfungsamt, aber da können wir gerade nicht hin, weil dies wegen Baufälligkeit gesperrt ist, eigentlich hatten wir eine größere Bibliothek, aber da können wir jetzt nicht weiter, weil...” usw. Die Wirkung des Brückenkurses Mathematik kann man dann auch nicht gerade als aufmunternd bezeichnen.

So begann man von der Einführungswoche erfolgreich schockiert das erste Semester.

Doch schon in den ersten Wochen konnte man erstaunlich viel lernen, zum Beispiel wie 5 Leute so viele Kleidungsstücke bei sich haben können, dass sie damit 50 Plätze besetzen können ohne komplett nackt dazustehen. Die Raumsituation der ersten Wochen war ohnehin sehr gewöhnungsbedürftig, so war es im 201 oftmals so voll, dass viele Studenten Herrn Brandt oder Herrn Bultmann (im wahrsten Sinne des Wortes) “zu Füßen lagen”. Doch Herr Plinke machte uns dann etwas Mut und brachte uns ganz nebenbei akademische Manieren bei: “hier in der Universität klopft man, geklatscht wird im Fußballstadion”.

Aber spätestens nach der Erstsemesterfahrt begann man sich dann einzuleben und an das Studium zu gewöhnen. Zwar wurden einem immer noch ab und zu Durchfallraten zugetragen, die in ihrem Wesen an DDR-Volkskammerwahlen erinnerten, aber da man schon lebendige Menschen kennen gelernt hatte, die diese bestanden hatten und so gar nicht nach Einstein oder Gott aussahen, keimte immer mehr Zuversicht auf. Zumal die Ökonomie nicht so trocken wie befürchtet war und sich stellenweise sogar fächerübergreifend präsentierte. So habe ich selten soviel über Müsli und Joghurt gelernt wie bei Herrn Güth. Sehr gut im Gedächtnis ist mir auch eine Veranstaltung, als ich mit knurrendem Magen in Herr Plinkes Vorlesung saß und dieser den gesamten Marktprozess anhand von Würstchen erklärte. Das Studium nahm dann seinen Lauf, die Tage wurden immer kürzer die Vorlesungen immer leerer und die Kommilitonen immer netter. Nach der ersten Wiwi-Party hatte man dann dass Gefühl, dass es noch ein Weilchen so weiter gehen könnte. Doch mit den anstehenden Klausuren zogen Wolken am Studentenhimmel auf. So wurde es nach Weihnachten in fast allen Fächern richtig hektisch. Zwar war man seit Herrn Brandt den akademischen Zeitdruck gewöhnt, (“ich hab noch eine Minute !!!”), aber in vielen anderen Fächern absolvierte man nun im letzten Drittel des Semesters zwei Drittel des Stoffes. So stand man plötzlich am Ende des Semesters, ohne schon wirklich viel gemacht zu haben. In den besagten Klausurwochen durchlebte man Tage mit unglaublich engem Zeitplan, kurzen Nächten, minimalen Sozialkontakten, Lerngruppen am Telefon und einem ständig tickendem Klausurcountdown. Nachdem man dann alle Klausuren geschrieben hatte, konnte man gar nicht so recht glauben, dass nun alles vorbei war. Zufrieden genoß man die Ferien, um dann wie zu einem neuen Schuljahr, das zweite Semester zu beginnen. Nun ist schon wieder die Hälfte des Semesters verstrichen und man fühlt sich, als habe das Semester gerade erst begonnen, nur die Schlangen vor dem Prüfungsamt und die Kästen mit den Klausurterminen sind da Boten einer anderen Zeit. Doch davor kommt noch ein Stück Sommer und die WIWI-Party und nach den Klausuren wird man sich dann wieder an einem grauen Montagmorgen im 201 wiederfinden.

Nur dann ist man ein Jahr älter und neue “Ersties” werden schockiert in der Einführungswoche sitzen.

Wolfram Wilde