A.L.K.

Wer es noch nicht bemerkt hat, ein kleiner Teil der Burgstraße wurde umbenannt. Das kurze Stück zwischen Spandauerstrasse und Spreebrücke heißt nun Anna-Louisa-Karschstraße. Wer war diese Frau? Was machte sie so bedeutsam, der Seitenstraße unserer ehrwürdigen Fakultät ihren Namen zu geben? Und was hatte Burg getan, dass man ihm nur noch eine halbe Straße zustand.

Wir dachten zunächst an einen Antrag der DESPA, welche ja nebenan das Spree-Palais baut und sich vielleicht eine hübschere Adresse zulegen wollte. Aber weit gefehlt, eine Anfrage im Tiefbauamt ergab: Es war das Bezirksamt Mitte selbst, dass die Umbenennung veranlasste. Man wollte einfach mehr nach Frauen benannte Straßen haben, da es an solchen in Mitte und vor allem um den Hackeschen Markt mangelt. Eine neu entstehende Straße zwischen der Französischen und der Vossstrasse soll künftig Gertrud-Kolmar-Straße heißen. Die jüdische Dichterin wurde 1943 inAuschwitz ermordet.

Eine neue Straße entlang des Stadtbahnviaduktes zwischen Reinhardt- und Luisenstraße wird nach Margarete Steffin benannt. DieSchriftstellerin war „mit Bertolt Brecht durch eine komplizierte Liebes- und intensive Arbeitsbeziehung verbunden“, heißt es in der Mitteilung des Bezirksamtes. Steffin starb 1941 in Moskau, wo sie sich um Fluchtvisa für die Familie Brechts und sich selbst bemüht hatte. Nun aber zu Anna Luisa Karsch: Die “dichtende Frau aus dem Volke”, die “Karschin”, so genannt in der im 18. Jahrhundert noch üblichen weiblichen Form des Familiennamens, war die einzige deutsche Dichterin der Aufklärung, die ihr Ansehen weitgehend auf sich selbst gestellt errang. Sie verfasste ausschließlich Gedichte (siehe Probe am Ende des Artikels). In ihrem Leben mußte K. zahlreiche Hürden überwinden, sowohl die der sozial niedrigen Geburt als auch die, ein Mädchen zu sein; zusätzlich setzte ihr der Spott vieler Männer über ihre unvorteilhafte körperliche Gestalt zu.

Es folgt ein bemerkenswerte Lebenslauf, so eine Art “von der Tellerwäscherin zur Millionärin”-Karriere, das ganze nur verschoben in das 18.Jahrhundert.

Sie wurde 1722 als Tochter eines Wirtes in Schwiebus (Polen) geboren. Ihre Eltern schickten sie mit fünf Jahren zu ihrem Großonkel (angeblich, weil Anna zu hässlich war), wo sie in Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet wurde. Nach dem Tod des Vaters und erneuter Heirat der Mutter wurde sie mit 1732 zurückbeordert, um zunächst “Kinderwärterin” für den Halbruder zu sein, und dann als Magd und Hirtin zu arbeiten. Die Familie zog nach Tirschtiegel (Posen).

Mit sechzehn heiratete sie den Tuchweber Hirsekorn mit dem sie drei Söhne bekam. Neben der Kindeserziehung fing sie mit dem Dichten an. Nach elf Jahren wurde sie aus dem Haus gejagt – ihr Mann ließ sich gegen ihren Willen von ihr scheiden, dies war auch gleichzeitig die erste Scheidung in Preußen. Im selben Jahr (1749) heiratete sie den Säufer und Schneider Karsch. 1755 zogen sie nach Gross-Golgau um. Mit Gelegenheitsgedichten verdiente sie sich bereits ein kleines Nebeneinkommen und erlangte im Laufe der folgenden Jahre lokalen Ruhm. Schließlich sagte sie sich von dem Trinker los und erwirkte seine Einberufung zum preußischem Militär. Das kam einer Scheidung beinahe gleich, war nur sehr viel kreativer. Von da an wurde sie als von ihrem Mann getrennt angesehen.

1761 konnte sie mit Hilfe eines Gönners nach Berlin umziehen, wo sie von zeitgenössischen Dichtern (u.a. von Johann Ludwig Gleim) als dichterisches Naturtalent bewundert wurde.

Obwohl ihre Liebe zu Gleim unerwidert blieb, ermöglichte er ihr Aufenthalte in Halberstadt und Magdeburg.

1762 wurde sie Ehrenmitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft der Helmstedter Universität, kehrte jedoch im selben Jahr nach Berlin zurück, wo sie nur mit einer kargen Rente erneut in ärmlichen Verhältnissen leben musste.

Erst 1789 erhielt sie als Zeichen der Anerkennung ein kleines Haus von Friedrich Willhelm II. in Berlin.

Am 10. Oktober 1791 starb sie.

sk