Professor Siegel

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere von Euch an die Umfrage die wir vor einem halben Jahr durchgeführt haben. Dort wollten wir unter anderem von Euch wissen, welcher Prof einen Orden bzw. keinen Orden verdient hat. Herr Prof. Siegel schnitt weniger gut ab, was er als aufmerksamer Hermes-Leser schnell bemerkte und uns um die Gelegenheit, eine Stellungnahme betreffend seines Lehrstuhl und dessen Aktivitäten abzugeben, bat. Aus diesem Grund führten wir ein Interview mit Herrn Prof. Siegel durch.

Könnten Sie sich zuerst ganz kurz selbst beschreiben (Person, Charakter, Lebenslauf)?

Ein wissenschaftlich neugieriger Zeitgenosse. Lebenslauf: Theorie und Praxis (Details siehe www.wiwi.hu-berlin/rewe/).

Wer (Mentor) oder was hat Sie in diese Richtung (Wirtschaftsprüfung) getrieben?

Getrieben hat mich nichts und keiner. Aber die Richtung war nach meiner praktischen Tätigkeit naheliegend. Als der kaufmännische Leiter der mittelständischen Bauunternehmung ausschied, sollte ich auf einmal die Bilanz aufstellen. Das gelang mir zwar zur Zufriedenheit des Steuerberaters, aber ich wollte dann doch mehr Durchblick gewinnen und Zusammenhänge erkennen.

Sie haben vor dem Studium eine kaufmännische Ausbildung absolviert. Würden sie sagen, dass das Ihnen geholfen hat?

Ja, sehr. Daher und wegen meiner späteren Assistenz bei einem Wirtschaftsprüfer weiß ich, wovon ich in den Lehrveranstaltungen rede.

Sie waren insgesamt 15 Jahre an der TU (Studium und Beschäftigung). Was verbinden Sie noch damit?

Die Ost-West-Achse Karl-Liebknecht-Straße / Unter den Linden / Straße des 17. Juni. Außerdem treffe ich gelegentlich TU-Kollegen.

Was bewog Sie 1994 dazu, an unsere Uni zu kommen (Reputation)?

Reputation konnte es noch nicht geben, aber interessante Kollegen. Entscheidend war die Möglichkeit der Neugestaltung einer Fakultät.

Wie schätzen Sie den Ruf unserer Wiwi-Fak/ Ihres Lehrstuhls ein?

Ich nehme in der Praxis wahr, dass unsere Fakultät sehr angesehen ist. Ich denke, dass dies auch für den Lehrstuhl gilt. Die Absolventen meines Faches werden von den WP-Gesellschaften stark nachgefragt. Durch unser Humboldt-Forum Rechnungswesen und Steuern, zu dem häufig Praktiker kommen, kennen uns fast alle Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in Berlin und Umgebung.

Worin sehen Sie das besondere Engagement Ihres Lehrstuhls?

1. Bisher habe ich zu jeder Vorlesung jedes Semester die Arbeitspapiere (mit Vorarbeiten der Mitarbeiter) neu überarbeitet. Die ständig Unterlagen enthalten Übersichten, Beispielsfälle, Literaturhinweise und diverse weitere Materialien, so dass einerseits das Abschreiben von Folien überflüssig ist und andererseits eine kompakte Basis für das Nacharbeiten bereitgestellt wird. Für Druck und Vertrieb müssen wir jetzt dazu übergehen, einen Copyshop einzuschalten.

2. Seminar- und Diplomarbeiten werden von den wissenschaftlichen Mitarbeitern ausführlich vorkorrigiert und vollständig von mir abschließend korrigiert. Den Studierenden wird nahegelegt, die Korrekturen vor Verabschiedung der Note aufmerksam zur Kenntnis zu nehmen, damit sie später Gutes wiederholen und Fehler vermeiden. Somit bekommt jeder Seminarteilnehmer eine ausführliche Rückmeldung zu Aufbau und Argumentation, Quellenverarbeitung und äußerer Gestaltung seiner Arbeit.

3. Da auch die Wirtschaftsprüfer und -prüfungsgesellschaften als künftige Arbeitgeber an einer hohen Qualität der Ausbildung interessiert sind, ist es bisher vielfach gelungen, Fördermittel einzuwerben. So können wir bislang unsere Institutsbibliothek aktuell ausstatten. Daher finden unsere Studierenden die für Seminar- und Diplomarbeiten erforderliche Literatur weitgehend bei uns.

4. Unser Lehrstuhl vermittelt regelmäßig die Teilnahme an Workshops bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, wo die Studierenden verstärkt Einblick in Bedürfnisse und Arbeitsweise der Praxis erhalten und erste Kontakte knüpfen können.

5. In vielfältigen Gastvorträgen von renommierten Professoren anderer Universitäten sowie bedeutenden Praktikern (wie WP-Vorstände und Richter des Bundesfinanzhofs) können die Studierenden ihren Horizont erweitern.

6. Dies gilt auch für die Doktorandenbetreuung: Der Lehrstuhl nimmt mit seinen Doktoranden halbjährlich an einem Seminar gemeinsam mit drei oder vier weiteren Lehrstühlen teil.

Können Sie den Inhalt Ihrer Lehrveranstaltungen im HS kurz umreißen?

Es geht darum, den Studierenden handfeste Grundlagen für den beruflichen Einsatz in Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung zu verschaffen, aber auch: sie an das Denken in Zusammenhängen und Zweck-Mittel-Beziehungen heranzuführen. Dazu sind die Aufgabenstellungen sowie die wichtigsten rechtlichen Regelungen des Jahresabschlusses (auch zur Internationalen Rechnungslegung) zu diskutieren. Ferner ist in das prüferische Handwerkzeug einzuführen. Und die Unternehmensbewertung als traditionelle Aufgabe des Wirtschaftsprüfers gibt besondere Gelegenheit, ökonomische Zusammenhänge zu berücksichtigen.

Welche Note würden Sie Ihren VL im GS bzw. HS geben?

Falls es auf die Fähigkeiten eines Entertainers ankommt, verdiene ich vermutlich eine dürftige Note. Was die Wissenschaftlichkeit angeht, rechne ich mit einer guten Benotung. Der Durchschnittsstudent müßte zufrieden sein, weil er m.E. auf didaktisch gut unterlegte Weise eine solide Ausbildung erhält. Freilich habe ich im Grundstudium dagegen zu kämpfen, daß ein kleinerer Teil der Studierenden falsche Erwartungen hat.

Was gibt es im Bereich Wirtschaftsprüfung zu forschen?

Z.B. ob das wirklich alles besser ist, was aus den USA kommt oder International Accounting Standards heißt. Auch zum deutschen Jahresabschlussrecht mische ich mich in strittige Fragen ein. Gern forsche ich auch in anderen Bereichen. So bin ich gegenwärtig in heftige Diskussionen zu der Frage verwickelt, ob ein Ehepaar weniger Steuern zahlen soll als zwei Ledige in ansonsten vergleichbarer Situation.

Was ist das Wichtigste in Ihrem Job?

Die Möglichkeit zur unabhängigen Forschung und zur Diskussion - auch mit Studierenden!

Würden Sie Ihren Karriereweg noch einmal so einschlagen?

Zumindest unter den gegeben gewesenen Umständen ja. Unter anderen Umständen hätte ich auch nichts dagegen gehabt, wenn aus mir z.B. ein Richter oder ein Mediziner geworden wäre.

Sie sind in Gelsenkirchen geboren und aufgewachsen, sind Sie Schalke-Fan?

Nein, als Schuljunge war ich für den benachbarten STV Horst-Emscher; ich werde nie vergessen, wie die mal in der damaligen Oberliga West Schalke 04 mit 8 : 3 geschlagen haben.

Vielen Dank für das Interview!