Big Brother an der Uni

Jahrelang hingen sie unbemerkt oder ignoriert in den großen Hörsälen der Uni bevor im November 2002 ein 23jähriger Jurastudent sie entdeckte und darin einen Verstoß in seinen Persönlichkeitsrechten sah.

Die Rede ist von den zahlreichen Über-wachungskameras, die in mehreren Hörsälen der Universität (unter anderem Senatssaal, Audimax und Kinosaal) installiert waren und kürzlich eine heftige Debatte über den Datenschutz an der Humboldt-Universität ausgelöst haben. Begonnen hatte die „Big-Brother-Affäre“ im letzten Jahr. Während einer Vorlesung im Audimax schaute der Student Carlos Katins zufällig in die dahinter liegenden Räume und traute seinen Augen kaum als er auf mehreren Bildschirmen Bilder aus anderen Hörsälen sah. Da es sich hierbei seiner Meinung nach um Überwachung und damit um einen Eingriff in seine Grundrechte gehandelt habe und man einen Missbrauch der ganzen Anlage nicht hätte ausschließen können, entschloss sich der Humboldtianer, dagegen zu klagen.

Nachdem kurz darauf Spiegel Online und auch einige Berliner Tageszeitungen über die Kameras berichteten, sah sich auch die Universitätsleitung zu einer Erklärung der ganzen Angelegenheit gezwungen. Laut Spiegel Online begründete sie die Notwendigkeit der Mini-Spione damals mit dem Argument, dass diese der technischen Fernüberwachung der Hörsäle und damit der richtigen Aussteuerung der Mikrophone dienen würden. Eine permanente Überwachung hätte laut Uni-Datenschutzbeauftragten André Kuhring nicht stattgefunden, da die Mitarbeiter nur alle zwei Stunden für einige Minuten auf die Monitore geschaut haben, um zu sehen, wer am Rednerpult steht.

Dass diese Behauptung so nicht stimmte, zeigen mehrere Ereignisse, die sich in der Vergangenheit abspielten. So wurde bereits 1996 ein Referent, der mit einem Kaffeebecher das Podium betrat, durch eine Lautsprecherdurchsage ermahnt, dass der Verzehr von Getränken und Speisen in den Hörsälen streng untersagt sei. Ähnliches geschah auch während einer Wirtschaftsvorlesung, in der die Geisterstimme einen jungen Mann „in der zehnten Reihe“ aufgefordert hat, seine Butterbrot doch bitte woanders zu essen.

Beide Beispiele zeigten, dass der Verdacht des Missbrauchs der Kameras nicht unbegründet gewesen ist. Aus Katins Sicht verstieß die Überwachung sowohl gegen das Landes- und Bundesdatenschutzgesetz als auch gegen Grundrechte, zumal an den betreffenden Räumen bis dato keine Hinweisschilder angebracht waren und die Kameras in einigen Räumen des Hauptgebäudes ziemlich versteckt gewesen sind. Sein Anwalt Nils Leopold argumentierte, dass ein Haustelefon in den Hörsälen reichen müsse, um Tonprobleme bei Technikern zu melden und dass die technische Bequemlichkeit die Verunsicherung von Studenten und Professoren nicht aufwiegen dürfe. Wie Spiegel Online weiter berichtete, hat sich Ende des Jahres auch der Berliner Datenschutzbeauftragte bei einem Ortstermin von Kuhring versichern lassen, dass die Videokameras lediglich der Akustikkontrolle dienen würden und eine Aufzeichnung der Bilder nicht möglich sei. Einzig und allein das Fehlen von Informationsschildern wurde beanstandet und ist von Seiten der Universität zumindest in einigen Sälen behoben worden.

Dennoch wollte man sich aus Imagegründen von den Kontrollkameras trennen. Diese Ankündigung machte zumindest laut der taz vom 29. November der HU-Vizepräsident für Haushalt, Personal und Technik, Frank Eveslage, der bereits bei der technischen Abteilung ein Alternativkonzept zur damaligen Mikrofonkontrolle in Auftrag gegeben hatte. Ein konkretes Alternativkonzept liegt bislang noch nicht vor. Trotzdem bestätigte laut Spiegel Online eine Sprecherin der HU Anfang Januar den Verzicht auf die gesamte Anlage. Die Kameras seien seit Dezember in allen Hörsälen abmontiert worden, verließ die Pressestelle der Uni verlauten. Für die installierten Tonleitungen trifft das jedoch nicht zu. Diese dürfen weiterhin, wenn auch unter Auflagen, eingesetzt werden. Trotzdem ist Kuring glücklich über die Entscheidung der Uni und „dass es eine Lösung ohne Kameras gibt“. Jurastudent Katins, der mit Erstaunen festgestellt hat, dass die Kameras plötzlich fehlten, bleibt jedoch skeptisch. Bevor er seine Klage zurückzieht, wolle er nach Angaben von Spiegel Online durch die Einsicht in alle zu dem Thema vorhandenen Unterlagen der Uni erfahren, „wie schnell die Kameras doch wieder angeschlossen werden können und wie viel Tonüberwachung noch übrig bleibt.“

az