Geh doch nach Frankfurt/Oder

Im Kino macht der Film „Halbe Treppe“ den Ost-Charme der Frankfurter Innenstadt derzeit auch für das gesamtdeutsche Publikum spürbar. Das Einkaufszentrum „Halbe Treppe“ - natürlich in Plattenbauweise - ist allerdings schon lange pleite, und die Imbissbude, die im Film immer wieder auftaucht, hat häufig geschlossen.

Frankfurt/Oder, das ist für die meisten die Stadt an der polnischen Grenze. Man verbindet damit Warteschlangen an der Grenze, Klischees von gestohlenen Autos und eventuell noch steuerfreie Zigaretten. Studieren in Frankfurt/Oder erscheint nicht wirklich verlockend. Zu Unrecht? Ja, sagt zumindest Katharina, die vor einem Jahr ihr BWL-Studium an der Europa-Universität Viadrina verlassen hat. „Mein Studium hat mir sehr viel Spaß gemacht und ich würde wieder dort studieren.“ Also, frustrierte Berliner Studenten... geht doch nach Frankfurt/Oder!

Studieren kann man in Frankfurt Rechts-, Kultur- und Wirtschaftswissenschaften. Bei den Wirtschaftswissenschaften wird neben VWL und BWL auch Internationale Betriebswirtschaftslehre angeboten, ein Fach, das in Deutschland nur selten vorkommt. Das Grundstudium ist wie bei BWL und man muss nur eine zweite Fremdsprache belegen. Im Hauptstudium geht es dann internationaler zu und eine Fremdsprache muss zur Zertifikatsstufe weiter gemacht werden. Auch wenn man in Frankfurt/Oder manchmal deutsch-polnisch mit international verwechselt, ist dieser Studiengang tatsächlich attraktiv. Internationalität wird auch sonst groß geschrieben - Auslandssemester werden besonders unterstützt und schon das Publikum sorgt für den Flair der weiten Welt: Gut ein Drittel der Studenten sind Polen.

In den Lehrinhalten des normalen BWL- oder VWL-Studenten gibt es in Frankfurt keine speziellen Schwerpunkte. Allerdings muss sowohl eine Fremdsprache als auch Recht (Öffentliches und Bürgerliches Recht) abgelegt werden. Eine Frankfurter Spezialität ist, dass auch ein Schein an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät abgelegt werden muss. So soll der Austausch der Fakultäten unterstützt werden.

Um ein schnelles Studium (Regelstudienzeit 8 Semester) zu gewährleisten, wird zum Beispiel im Grundstudium an VWL-Fächern nur Mikro, Makro und angewandte Wirtschaftstheorien angeboten, berichtet Benjamin, der momentan an der Viadrina studiert. Ein Schmalspur-Studium? „Überhaupt nicht“, verneint er, „die Anforderungen sind häufig hoch.“ In Informatik wurde z.B. C und C++ gelehrt. „Im großen und ganzen machen wir das Gleiche wir ihr in Berlin!“

Gerade einmal eine Stunde Fahrzeit muss der Berliner Pendler nach Frankfurt/Oder einplanen - und, davon können wir nur träumen - im Semesterbeitrag ist ein Semesterticket für den gesamten(!) VBB enthalten, also auch die BVG.

Frankfurt/Oder liegt direkt neben der polnischen Grenzstadt Slubice, die von Frankfurt nur durch die Oder getrennt ist. Die Stadt selbst ist klein und übersichtlich, was das Einleben enorm erleichtert. Andererseits ist natürlich auch nicht viel los. Bei etwa 70000 Einwohnern ist ab halb Neun „Totentanz“ angesagt: „Dass die Ampeln dann aus sind, macht nichts - ist ja eh nichts los.“ Der einzige Frankfurter Studentenclub, die Grotte, ist dann die Zuflucht... manch Berliner Nachtschwärmer findet das schlicht grottenschlecht! Doch wer sich darauf einlässt, kann hier viel Spaß haben. Eine kleine Stadt hat auch ihre Vorteile - man kennt neben den Kommilitonen auch schnell Tutoren und Profs, zu denen der Kontakt gut ist. Zu den Sprechzeiten bekommt man immer einen Termin und Schlangestehen gibt es nicht.

Eine deutsch-polnische Uni, wie es die Viadrina ist, bringt natürlich auch Probleme mit sich - eine Durchmischung hat nur sehr begrenzt stattgefunden, meint Katharina im Rückblick. Die Polen wohnen oft in Slubice und bleiben unter sich, genau wie die Deutschen. Sprachkurse und Integrationsprogramme sollen Abhilfe schaffen.

Fast zehn Prozent der Frankfurter studieren an der Viadrina - Tendenz steigend, denn in den letzten vier Jahren hat sich die Studentenzahl fast verdoppelt. Damit die Uni nicht aus allen Nähten platzt, wird darum kräftig renoviert und ausgebaut. Seit knapp einem halben Jahr gibt es einen modernen Uni-Komplex, der aus dem Frankfurter Stadtbild herausragt. Allerdings reicht der Platz manchmal nicht aus, der größte Hörsaal ist bei manchen Erstsemesterveranstaltungen überfüllt und es muss auf Treppenstufen Platz genommen werden. Das kennen wir doch! Im nächsten Jahr werden aber weitere Hörsäle fertiggestellt, so dass es dann keine Probleme mehr geben sollte. Das Highlight der Uni ist auf jeden Fall ihre Bibliothek - im Innenhof des viereckigen Areals gelegen, wurde sie vollständig verglast gebaut. Entstanden ist eine helle Bibliothek mit sehr guter Auswahl. „Für uns WiWis war eigentlich immer alles da und verfügbar!“

Das Studium in Frankfurt/Oder ist also bestimmt nicht das Allheilmittel, doch wer relativ schnell und international studieren will, wer sich an seiner Uni nicht verlaufen möchte, wer auch auf etwas Ost-Charme steht (und sich auch von einer Kohleheizung nicht verschrecken lässt...), der ist in Frankfurt/Oder genau richtig.

nh