Casablanca - Und täglich grüßt der Muezzin

Ein Auslandspraktikum ist immer eine interessante Sache und all die Zufälle und Gründe aufzuzählen, die mich schlussendlich für drei Monate nach Casablanca brachten, würde zu weit führen. Nachdem ich alle Prü-fungen im ersten Block geschrieben hatte, machte ich mich Ende August auf den Weg nach Marokko.

Bewerbung

Das Praktikum bei der deutschen Außenhan-delskammer hatte ich mir im Frühjahr mittels Initiativbewerbungen organisiert. Ich schrieb etwa fünf deutsche Handelskammern im Ausland an. Zwei davon hatten sofort Interesse und schließlich passte mir der Terminvorschlag der AHK-Marokko am besten. Das dies so problemlos klappte, lag wohl unter anderem daran, dass die Handelskammer keinerlei Verpflichtungen gegenüber ihren Praktikanten einging. In dem mir vorher bekannten Vertrag war eindeutig darauf hingewiesen, dass kein Gehalt gezahlt würde. Auch wurde keine Wohnung gestellt, ja nicht einmal bei der Suche geholfen.

Finanzen

Durch Zwischenvermieten meines Berliner Zimmers und die magere DAAD Reiskostenbeihilfe von 200 Euro hoffte ich meinen Aufenthalt kostenneutral gestalten zu können. Dies gelang mir letztendlich nicht, da das Preisniveau in Casablanca deutlich höher als erwartet war. Für ein möbliertes Zimmer zahlte ich beispielsweise 200 Euro (ohne Steuern) und selbst ein Schawarma (libysche Dönervariante) schlug mit 2-3 Euro zu Buche. Wenigstens brauchte ich für meinen dreimonatigen Aufenthalt kein teures

Arbeitsvisum. Da ich ja kein Geld verdiente, reichte ein einfaches Touristenvisum, dass sich notfalls mit Kurzausreisen in eine der spanischen Enklaven verlängern lässt. Was wirklich billig war waren Serviceleistungen wie Schuhe putzen für 30 ct oder eine Putzfrau, die mit 1 Euro pro Stunde fürstlich entlohnt war. Leider kann man geputzte Schuhe und handgewaschenen Hemden nicht essen und so zahlte ich bei meinem Marokko-Aufenthalt ziemlich drauf, was sich aber fraglos enorm gelohnt hat.

Arbeit

Die Handelskammer in Marokko gehört mit sieben festangestellten Mitarbeitern und zirka fünf Praktikanten zu den kleineren deutschen Wirtschaftsvertretungen im Ausland. Diese Größe schien für Reality-Soap-Operas prä-destiniert zu sein. So lockerten tausende Ge-schichten aus Liebe, Hass, Neid und Intrigen den Arbeitsalltag auf.

Ich hatte das Glück gerade in dem Augenblick einzusteigen, als das Jahresprojekt meiner Wirtschaftsförderungsabteilung in die heiße Phase trat. Dabei handelte es sich um eine Kooperationsbörse marokkanischer und deutscher Unternehmen im Umwelttechnikbereich. Diese sechs Wochen Vorbereitung und Durchführung der dreitägigen Veranstaltung ermöglichten vielfältige Einblicke in das marokkanische Geschäftsleben. So war es interessant festzustellen, dass in den höheren Wirtschaftskreisen besser französisch als der marokkanische Dialekt des Arabischen gesprochen wird. Auch sonst orientiert sich das gesamte Wirtschaftsleben des Landes an dem Frankreichs. Dies machte es für die deutsche Kammer, deren französisches Pendant in einem halben Dutzend marokkanischer Städte über einhundert Mitarbeiter beschäftigte, nicht gerade einfach.

Freizeit

Der Freizeitwert Casablancas ist mit dem europäischer Großstädte nicht vergleichbar. Wenige, ständig leere Kinos, einige kaschemenhafte Kneipen in denen Alkohol ausgeschenkt werden darf und hochgeklappte Bürgersteige nach 23 Uhr erinnern an 500 Seelen Gemeinden in Deutschland. Andererseits sind tagsüber viel mehr Menschen auf den Straßen als in Berlin. Aus Paris wurden die wunderbaren Cafés übernommen, in denen es sich preiswert verweilen lässt. Besonders angenehm war auch der wenige Taxi-Minuten von der Wohnung entfernte Sandstrand. Der Atlantik hatte bis Mitte November noch Ostsee-Hochsommer-Temperatur.

Der Hauptnachteil Casablancas ist aber seine enorme Lärm-, Geruchs- und Dreckbelastung. Deshalb versuchte ich auch so häufig wie möglich Casablanca zu verlassen und mir das Land anzuschauen. Bei diesen all-wochenendlichen Touren wurde mir erst richtig bewusst, wie sehr sich doch Casablanca vom Rest Marokkos unterscheidet. In vielen Städten fühlt man sich ins Mittelalter zurückversetzt und die landschaftliche Vielfältigkeit dieses gar nicht so großen Landes ist enorm beeindruckend. Gebirge, Wälder, Wüste Meer und fruchtbare Ebenen liegen oft sehr nahe beieinander.

Menschen

Der Umgang mit Marokkanern blieb die ganzen drei Monate über sehr schwierig für mich. So bekam ich beim Besuch eines marokkanischen Mitpraktikanten keine einzige Frau zu Gesicht. Sowohl seine Mutter, seine Schwestern als auch seine Ehefrau wurden mir nicht vorgestellt. Ich saß zusammen mit seinem Vater und seinen Brüdern in der Stube und ab und an gab es Ansätze von Gesprächen. Diese wurden aber immer wieder vom Blick auf den ständig laufenden Fernseher unterbrochen. Auch fand ich dieses vollkommene Desinteresse an Europa recht ungewöhnlich. Schlussendlich steuerten die meisten Gespräche mit Marokkanern immer auf „die Religion“ hin. Spätestens nach sechs Wochen hatte ich dann aber keine Lust mehr mit Leuten, die noch nie ihr Land verlassen haben und sich nicht für unsere Kultur interessieren, über die Überlegenheit des Islam zu sprechen.

Schnell war aber ein kleines Netzwerk euro-päischer Praktikanten in Casablanca aufgebaut. Die Abende mit Spaniern, Italienern und anderen Deutschen vermittelten einem doch schnell das Gefühl, dass so etwas wie eine europäische Identität wirklich existiert. Dass man im Ausland die eigene Kultur besser kennen lernt, war sowieso eines der Haupterkenntnisse dieses Praktikums.

gz