Weltpfandflaschenkrise

Die aktuelle Diskussion über das Do-senpfand hat sicherlich jeder mitbekommen. Dabei wird die Schaffung von Rück-gabestellen meist als das eigentliche Problem angeführt. Doch weit gefehlt! Das schlummernde aber gigantische makroökonomische Problem mit Mehrwegsystemen möchte ich hier schildern, um die Weltwirtschaft vor ihrem sicheren Absturz zu bewahren.

Bei meinem Aufenthalt in Prag erlebe ich tagtäglich, dass sich mein Zimmergenosse an dem günstigen und guten tschechischen Bier erfreut.

Mögen wir auch kein Brot im Haus haben, an Bier ist immer gedacht. So sammelte sich in relativ kurzer Zeit ein beträchtlicher Vorrat an Pfandflaschen in unserer Wohnung. Dabei zeigte sich ein gefährlicher Mechanismus. Ihr kennt das, sind ein paar Flaschen im Haus, kann man diese mal schnell mitnehmen, doch sofern es ein ganzer Kasten ist, schiebt man das schon gerne vor sich her. Wenn es zwei Kästen sind, wartet man bis man ein Auto hat, um diese weg zu bringen. und so weiter. Ich glaube der Effekt wird deutlich - je mehr Pfandflaschen im Haus sind, desto mehr sinkt der Anreiz diese zurück zu bringen. Somit wächst aufgrund der eigenen Faulheit, still und heimlich eine riesige Liquiditätsreserve heran. So auch in unserem Fall! Es begann ganz lustig mit einer beschaulichen Galerie der tschechischen Biermarken, erweiterte sich zu einem guten Staubschutz für die Schrankoberfläche, und als wir noch einen Bierkastensitzkollektion zum Draufsitzen hatten, beschwerten wir uns auch nicht. Nicht das er ein Säufer wär, doch in vier Monaten sammelt sich einiges an, und so langsam kommt der Punkt, an dem ich fürchte, vor lauter Pfandflaschen den Raum nicht mehr betreten zu können. Die einfache Lösung wäre, sie alle auf einmal zur Pfandflaschenannahme zu bringen und sich an dem beträchtlichen Rückgeld zu erfreuen. Doch so einfach ist die Lage schon lange nicht mehr. Langsam müssen wir die makroökonomischen Dimensionen des Pfandflaschenberges beachten. Würden wir alle auf einmal zurück geben, würden wir den Supermarkt vor ernsthafte Liquiditätsprobleme stellen. Aufgeregt würden die Kassierinnen hin- und herlaufen, Rollen mit Kleingeld bringen, ihre Kassen verlassen, um beim Zählen zu helfen, schließlich müsste die Marktleiterin kommen, um uns kleinlaut zu gestehen, dass sie nicht genügend Geld haben, um uns auszuzahlen.

Durch das eben geschilderte Szenario werden auch andere Supermarktbesucher aufmerksam und bemerken die Auszahlungsprobleme ihres Supermarktes. Schnell erinnern sie sich an ihren eigenen großen Pfandflaschenvorrat zu Haus und beschließen, diesen schnell abzugeben, vorher rufen sie noch die Freunde und Bekannten an und raten ihnen ihre Pfandflaschen schnellstmöglichst zurück zu bringen. Die Pfandflaschenlawine kommt ins Rollen. Am nächsten Tag erscheint in Prag niemand auf Arbeit, und alle wollen aufgeregt ihre Flaschen loswerden. Der tschechische Einzelhandel ist völlig überrascht, und bald sind sämtliche Liquiditätsreserven für Pfandflaschen erschöpft, und die Auszahlung wird schon ab zwölf Uhr eingestellt. Die wütenden Prager ziehen, nach argentinischem Muster, als Zeichen des Protestes mit Pfandflaschen klappernd auf den Wenzelsplatz und verlangen die Auszahlung ihrer Pfandflaschenrücklagen. Darüberhinaus stellen sie den Kauf von Pfandflaschen ein, da sie dem Mehrwegsystem nicht mehr vertrauen. Dieser spektakuläre Pfandflaschenaufstand kommt schnell in die tschechischen Medien und spricht sich im Rest des Landes herum. Am nächsten Tag glaubt sich der Prager Einzelhandel vorbereitet, hat besonders viel Bargeld parat und Hilfskräfte eingestellt, um die Rücknahme zu beschleunigen. Doch während in Prag die Auszahlung funktioniert, ist in Böhmen und Mähren der Pfandflaschenflächenbrand ausgebrochen. „Pling, Pling, Pling“ hört man das wütende Klappern der Pfandflaschen im ganzen Land.

Einen Tag später wird mit Hilfe von Overnight-Krediten versucht, die Lage zu beruhigen. Doch gegen den Sturm der in vielen Jahren gewachsenen Pfandflaschenrücklagen halten die kurzfristig verfügbaren Kronen nicht stand.

Durch die plötzlich gestiegene Geldnachfrage steigen die Zinsen. Um der neuen Situation am Geldmarkt gerecht zu werden, beginnen die Banken die Zinsen für Kredite zu erhöhen und alte Kredite plötzlich zu kündigen. Als Folge brechen rasch die tschechischen Investitionen ein. Nun wird eines überdeutlich. Das tschechische Wirtschaftswunder war auf Pfandflaschen aufgebaut! Es basierte auf günstigen Krediten der Bevölkerung mittels Pfandflaschen, als diese beginnen ihr „Pfandflaschenkredite“ zurück zu ziehen, bricht das tschechische Finanzsystem zusammen. Die Regierung nimmt sich diesen Problems an und erlaubt jedem tschechischen Bürger ein bestimmtes Kontingent an Flaschen einzutauschen. Der IWF stellt extra dafür einen Notkredit zur Verfügung. Doch der Beschluss, das Pfandgeld zu halbieren, führt abermals zu wütenden Protesten. Täglich hört man nun das Klappern der Flaschen und jeden Tag wird es lauter.

Die Nachbarn Tschechiens betrachten diese Situation mit einem gewissen Amüsement. Doch während sie lachen, werden sie mit hinein gerissen in den Pfandflaschenstrudel. Dank der eingeführten Euronorm für Bierflaschen, sind diese äußerlich nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Somit beginnen die Tschechen die Pfandflaschen über die Grenze zu schmuggeln, und sie im Ausland einzutauschen. Dies ermöglicht ein rasch aufziehender „Etikettenschwindel“. Fieberhaft werden in tschechischen Hinterhofdruckereien deutsche, polnische und slowakische Bieretiketten gedruckt. So wird die Pfandflaschenkrise in andere Länder exportiert, und das erste Land, welches dem Pfandflaschenliquiditätsdruck nicht mehr stand hält, ist die Slowakei. Polen und Österreich geraten ebenfalls ins Taumeln. Unter Leitung des IWF und der EZB beschließt man, die eigenen Pfandflaschen der Eurozone durch eine Markierung zu kennzeichnen. Doch um Tschechien und der Slowakei zu helfen, erlaubt man einen gewissen Umtausch von Pfandflaschen. Dazu lässt man die tschechische und die slowakische Pfandflasche gegenüber der Europfandflasche floaten. Ab sofort sind vier tschechische Pfandflaschen eine Europfandflasche. Verzweifelt sind die Versuche das alte Pfandflaschensystem aufrecht zu erhalten, doch trotz aller Rettungsversuche ist die Zeit der festen Pfandflaschenwechselkurse endgültig vorbei, und die Weltwirtschaft muss mühsam in ein neues Gleichgewicht finden. Wir werden versuchen diese Katastrophe mit einem wirtschaftlich verantwortlichem Rückgabeverhalten zu vermeiden. Doch schlummert da nicht noch etwas in Eurer Küche?

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