Humboldt-Forum Wirtschaft

Wahr ist, was wahr ist, dass das was war nicht mehr da ist

Das mittlerweile zum dritten Mal stattfindende Humboldt-Forum Wirtschaft trug diesmal den sinnigen Titel „Über morgen“ und sollte sich mit „Zeithorizonten in Unternehmen, Politik und ökonomischer Theorie“ beschäftigen. Da sich die in der Vergangenheit bereits abzeichnende exponentielle Zunahme der Zuhörerschaft weiter verstetigt hatte, wurde das Symposium diesmal im Hauptgebäude der Humboldt-Universität durchgeführt.

Der Spaß begann mit zwei einführenden Vorträgen am Vortag, wobei sich zunächst die „rote Heidi“ - Wieczorek-Zeul - und anschließend der Gast-Star Dr. Horst Köhler, IWF-Chef, die Ehre gaben. Die Thematik des Symposiums konnte ich allerdings in den Reden kaum wiedererkennen: Während Wieczorek-Zeul immerhin ihren Anknüpfungspunkt in der Betonung der „Schnelligkeit von Globalisierungsprozessen“ gefunden zu haben glaubte, bevor sie die deutsche Position bezüglich Entwicklungszusammenarbeit und Gestaltung der Globalisierung vorstellte, übersprang Köhler den Aspekt der „Zeithorizonte“ vollständig, um direkt zur offiziellen IWF-Position bezüglich Globalisierung und Entwicklungskooperation überzugehen. Die beiden Beiträge enthielten keine inhaltlichen Überraschungen, stattdessen konnte man feststellen, dass offizielle Stellungnahmen in diesem Bereich grundsätzlich auf ähnliches Mode-Vokabular angewiesen sind: Begriffe wie „Gute Regierungsführung“, Ownership, i.e. Eigenverantwortung, Partizipation der Zivilgesellschaft und stärkere Demokratisierung der internationalen Organisationen wurden daher auch in diesem Fall unreflektiert aufgezählt. Dabei blieben beispielsweise die Tatsachen unberücksichtigt, dass die formalen Regeln zur verstärkten Eigenverantwortung der Entwicklungsländern durch demokratisch fragwürdig legitimierte Bretton-Woods-Institutionen gesetzt werden, in denen die Industrieländer eine extreme Stimmenmehrheit besitzen und gleichzeitig die Vertreter derselben Länder die Demokratisierung dieser Institutionen fordern (Wie wärs denn mit Übertragung von Stimmrechten?). Auch aktuelle Fragen wurden weitgehend ausgeblendet: Köhlers Forderung nach Multilateralität und dem „rule of law“ wurde beispielsweise nicht im Kontext der IWF-Entscheidung thematisiert, Wiederaufbauhilfe im Irak auch ohne völkerrechtliche Legitimierung der US-Aktion durch den Sicherheitsrat zu leisten, was von der Weltbank hingegen abgelehnt wurde („Wer bombt, bezahlt auch“).

Die Diskussionen am nächsten Tag wurden durch Einführungsvorträge eingeleitet, wobei ich mich für denjenigen von Prof. Dr. Priddat entschied, der als Lehrstuhlinhaber für die Fächer VWL und Philosophie unterschiedliche Zeitkonzepte innerhalb der VWL vorstellte. Das gegenwärtig vorherrschende Paradigma eines zeitlich unbeschränkten und stetigen Wachstums wurde von ihm mit alternativen Denktraditionen kontrastiert, zum Beispiel zirkulären Ansätzen, der historischen deutschen Schule, sowie evolutionären Ansätzen, wobei die Grenze des gegenwärtigen Ansatzes deutlich wurde und Priddat seine „beschreibende“ Zugangsweise als sinnvolle Bereicherung der volkswirtschaftlichen theoretischen Analyse darstellte.

Als Teilnehmer der anschließenden Podiumsdiskussion zum Thema „Zeit, Unsicherheit und Erwartungsbildung in der Makroökonomik“ waren die Professoren Uhlig (HU Berlin), Böhm (Bielefeld), Weber (Mannheim) und Riese (FU Berlin) geladen, wobei letzterer kaum durch den Moderator zu bändigen war. Inhaltlich ging es recht lebhaft zu. Der Konflikt entzündete sich zwar teilweise an eher abstrakten wissenschaftstheoretischen Fragestellungen wie beispielsweise den Zielsetzungen und Falsifikationsmöglichkeiten von theoretischen Modellen, die immer wieder von erfrischenden Kommentaren von Herrn Riese aufgelockert wurden (à la: „Sie haben zwar vollkommen unrecht, aber immerhin sind Sie konsequent.“), allerdings wurde auch die Relevanz von eher als „trendy“ zu bezeichnenden Gebieten wie „Behavioral Finance“ kritisch hinterfragt.

Diese diskussionsfreudige Dynamik konnte in der nächsten Podiumsdiskussion leider nicht aufrechterhalten werden, in der „Internationale Institutionen als Motor weitsichtiger Politik“ im Mittelpunkt standen. Teilnehmer waren der Vorsitzende von Transparency International Peter Eigen, sowie Prof. Kirchner und Dr. Mayer. Die einzige Vertreterin der Politik auf dem Podium - Kerstin Müller (Auswärtiges Amt) - hatte leider kurzfristig abgesagt. Die Diskussion fand daher ohne knackige Konflikte statt, da man sich in der Einschätzung des „kurzfristigen und auf Wiederwahl fixierten Politiker“ einig war und das Problem des Demokratiedefizits nichtstaatlicher Organisationen auch relativ rasch und konsensual abhandeln konnte. Immerhin habe ich gelernt, dass aufgrund der Anstrengungen von Transparency International Schmiergeldzahlungen an ausländische Regierungen von deutschen Unternehmern nicht mehr als Betriebsausgaben abgerechnet werden können, was immerhin die tatsächliche Möglichkeit impliziert, politische Veränderungen auszulösen, die nicht primär von eigennutzmaximierenden Motivationen bestimmt sind.

Prof. Kirchner hielt die abschließende Rede, in der er die behandelten Themen und Beiträge mit einer Reflektion über die Aufgabe der Wissenschaft allgemein und der Universität im speziellen souverän verknüpfte, um damit die Zielsetzung des Humboldt-Forums als in dieser Hinsicht erfolgreich und gelungen zu präsentieren.

Dieser Einschätzung konnte sich auch die Zuhörerschaft anschließen und mit dem Hinweis auf die im nächsten Jahr angestrebte internationale Ausrichtung begann die von vielen bereits ersehnte Party, an der ich als Vertreter der Presse „verpflichtend“ teilnehmen musste, um alle Aspekte des Symposiums auf mich einwirken zu lassen.

Abschließend bleibt zu bemerken, dass sich die Mischung aus Prominenz und Qualität der Referenten bewährt hat, wobei eine etwas stärkere Fixierung auf das übergreifende Thema insbesondere bei den Eröffnungsvorträgen angebracht gewesen wäre. In den nächsten Jahren erwarte ich daher das ICC als Veranstaltungsort, den Papst und den US-Präsidenten als Podiumsteilnehmer und einen Shuttle-Service mit überlangen Limousinen für die Teilnehmer.

Jörg Franke