Der vergessene Professor

Er ist einer der international bekanntesten deutschen Wirtschaftswissenschaftler, Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes, siebenfacher Ehrendoktor und von 1991- 1994 Vorsitzender der Struktur- und Berufungskommission, welche die Wirtschaftsfakultät nach der Wende neu ordnen sollte. Doch trotzdem kennt wohl kaum jemand den Namen des in Freiburg promovierten Volkwirts und heutigen Professor der Bonner Universität: Prof. Dr. Drs. h.c. Wilhelm Krelle.

Während man sich normalerweise mit einer Persönlichkeit wie Krelle schmücken würde, erscheint der Name in keiner Hochschulzeitung, in keiner Publikation und auf keiner Internetseite der Humboldt Universität. Doch woran liegt das?

Zum einen liegt die Ursache hierfür wohl in der undankbaren Aufgabe im Zuge der Neustrukturierung der Fakultät, zunächst alle Mitarbeiter entlassen zu müssen und die Stellen dann neu auszuschreiben. Dieses Vorgehen hat nicht nur unter Mitarbeitern für Unmut gesorgt, sondern wurde auch von vielen Studenten kritisiert. Von „ideologischer Säuberung“ war die Rede und „es kam nicht zu der versprochenen personellen Durchmischung und zu einem Pluralismus der Lehrangebote, sondern zur Vertreibung der Humboldtianer. Alle Positionen von Rang wurden von hervorragend qualifizierten und entsprechend ausgewiesenen „Wessis“ besetzt, die ostdeutschen Wissenschaftler dagegen degradiert, gedemütigt und größtenteils entlassen“, erklärte der ehemalige Direktor des Instituts für Volkswirtschaftslehre Dr. sc. Busch 1997 dem Hermes (11. Ausgabe).

Ein anderer Grund ist wohl Krelles Biografie selbst. 1996 durchstöberten Krelle-kritische Wirtschaftsstudenten die Archive in und um Berlin und fanden heraus, dass Krelle während des zweiten Weltkrieges angeblich Sturmbannführer der 17. SS-Panzergrenadierdivision gewesen sein soll, was dieser jedoch bestritt. Gegenüber der Berliner Zeitung erklärte er damals, nie SS-Mitglied gewesen zu sein. Als Generalsstabsoffizier der Wehrmacht sei er von der Heerleitung herumkommandiert worden und so bei vielen Truppenteilen gewesen, zuletzt bei der Waffen-SS. Nachdem der Fall auch in den Medien für immer mehr Schlagzeilen sorgte, setzte der Akademische Senat der HU einen Ausschuss zur Klärung der Vorwürfe ein. Dieser stützte sich bei seiner Arbeit vor allem auf das Gutachten des Militärhistorikers Dr. Wegner der Universität der Bundeswehr Hamburg. Wegner war zu dem Ergebnis gekommen, dass die Ausführungen Krelles der Wahrheit entsprächen und eine Mitgliedschaft in der SS mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne.

Dieser Auffassung des Gutachters schloss sich der Ausschuss an. Trotz der entlastenden Gutachten wird der Eindruck erweckt, dass man sich gar nicht so gerne an den ersten Ehrendoktor der Humboldt Universität nach der Wende erinnert. Über die Gründe dafür sprach Hermes mit der HU-Pressesprecherin Susann Morgner :

Hermes: Es gab ja zunächst Vorwürfe gegen das Vorgehen der Struktur- und Berufungskommission in Fragen der Personalpolitik. Von Vertreibung der Humboldtianer war da die Rede und insbesondere Prof. Krelle wurde untergestellt eine ideologische Säuberung der Wirtschaftswissenschaften vorgenommen zu haben. Wieso war die Kommission so umstritten?

Morgner: Die Struktur- und Berufungskommissionen gab es für jeden Fachbereich. Ihre Aufgabe war es, Strukturempfehlung zu machen. Sie haben keine Entscheidungen über Entlassungen oder Verbleib einzelner Mitarbeiter getroffen.

Natürlich legt man mit Strukturentscheidungen, wenn man die auf Professuren festlegt, hin und wieder auch Tendenzen zu Personalentscheidungen fest. Diese Vorwürfe sind in Hinsicht auf die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät damals laut geworden. Das betraf aber nicht nur die Wirtschaftwissenschaften. Es hat die Fakultäten getroffen, wo ein Laie auch annehmen würde, dass sie politisch nicht nur belastet, sondern auch geprägt waren und wo Themen gelehrt worden sind, die vorrangig mit dem Staatsdoktrin zusammenhingen. Für viele wäre es sicher schwer gewesen von einem Tag auf den anderen einen völlig anderen Inhalt lehren zu müssen. Das bedeutet natürlich nicht, dass diese Personen alle bei der Stasi waren. Und abschließend muss man sagen, dass während der gesamten Umstrukturierung sicher Menschen gehen mussten, die es nicht verdient haben. Man kann auch mit Fug und Recht sagen, dass auch Leute gehen mussten, die es nicht verdient haben.

Hermes: 1996 erhärteten sich die anfänglichen Verdächtigungen, dass Krelle SS-Mitglied gewesen sein soll zum Vorwurf. Wie wurde damals verfahren als die Beschuldigungen gegen ihn die ersten Wellen gemacht haben?

Morgner: Der Akademischen Senat hat den Fall damals erörtert und dann beschlossen, einen Ausschuss einzusetzen. Dieser Ausschuss hat daraufhin ein Gutachten mit entsprechendem Abschlussbericht sowie einer Empfehlung zur weiteren Verfahrensweise in Auftrag gegeben.

Mich überraschte damals so, dass Krelle noch sechs andere Ehrendoktorwürden in der alten Bundesrepublik hat. Keine dieser anderen Universitäten ist in diesem Zusammenhang überhaupt erwähnt worden. Der Vorwurf damals bestand vor allem darin, wie man einen Menschen, der politisch so belastet gewesen sein soll, mit der Aufgabe betrauen kann, eine Fakultät im Osten neu zu strukturieren. Ihm wurde in dem Zusammenhang vorgeworfen, Kahlschlag betrieben zu haben. Dieses Zusammenspiel war ja das Diffizile daran.

Hermes: Wer schlägt eine Ehrendoktorwürde vor und wofür hat Krelle sie bekommen?

Morgner: Die Regeln sind in den Fakultäten durch die Promotionsordnung festgelegt. Dort sind auch die Ehrenpromotionen geregelt. Vorschläge müssen durch den Akademischen Senat bestätigt werden, der diesbezüglich ziemlich streng ist und auch schon einige abgelehnt hat. Es hat einige Fälle gegeben, wo Vorsitzende der Struktur- und Berufungskommission für die Neustrukturierung des Faches diese Ehrung bekommen haben. Der Antrag geht immer von der Fakultät aus. Das heißt also, ob es gerechtfertigt war, dass er für die Arbeit in der Struktur- und Berufungskommission eine Ehrendoktorwürde erhalten soll, das kann der damalige Fakultätsrat am besten beurteilen.

Hermes: Auch nach dem entlastenden Gutachten von Herrn Prof. Dr. Wegner forderten viele eine Aberkennung des Ehrendoktortitels? Wurde eine solche Konsequenz von Seiten der Universität in Erwägung gezogen?

Morgner: Das Gutachten deckte sich schon mit dem, was Herr Prof. Krelle selbst gesagt hat. Danach wurden damals relativ viele Wehrmachtsoffiziere unwissentlich in SS-Listen geführt und es ist durch aus denkbar, dass dies auch hier der Fall gewesen ist. Aber das ist ja nur die eine Seite. Die zweite Seite war die vehemente Aufforderung öffentlicher Stellen, ihm die Ehrendoktorwürde abzuerkennen, was natürlich eine schwierige Frage ist. Zu dieser Zeit haben wir uns im Akademischen Senat auch mit den Fällen beschäftigt, in denen Akademikern Titel von den Nazis oder auch zu DDR-Zeiten aberkannt worden sind. Damals wurde beschlossen, Aberkennungen dieser Art für nichtig zu erklären. Die Universität kann sich vielleicht im Nachhinein für die eine oder andere Ehrenprofessur schämen, aber es wird nichts aberkannt, was einmal verliehen wurde. Dies war grundsätzliche Entscheidung.

Hermes: Wieso ist die Tatsache, dass Prof. Krelle entlastet wurde nie wirklich publik gemacht worden?

Morgner: Doch, das haben wir publik gemacht. Es gab sogar eine Pressekonferenz.

Hermes: Trotzdem findet man kaum etwas über Krelle auf den HU-Internetseiten. Er war ja immerhin Ehrendoktor. Woran liegt das?

Morgner: Wir haben noch gar keine Auflistung der Ehrendoktoren im Internet. Das hat einen ganz einfachen Hintergrund: Es existiert keine wirklich vollständige Liste der Ehrenpromotionen von Gründung der Universität bis heute. Das man in dieser Hinsicht nichts über Herrn Krelle findet, hat nichts mit seiner Vergangenheit zu tun.

Hermes: Vielen Dank für das Interview.

az