Dann fahre ich halt nach Asien!

Das ich letztendlich in Asien gelandet bin, war wohl eher ein Unfall. Viele Leute haben mich auch später gefragt, wie ich darauf gekommen sei, gerade nach Malaysia zu gehen. Bin ich aber gar nicht - ich wollte ja eigentlich immer nach Lateinamerika - aber dann hatte ich das Praktikumsangebot von Kuala Lumpur in der Mailbox.

Irgendwie denke ich Malaysia hat sich mehr für mich entschieden, als ich mich für Malaysia. Ich wusste ja damals nicht einmal wo es liegt - irgendwo in Asien hatte ich als grobe Richtung im Kopf. Vielleicht waren es aber auch die verzweifelten Versuche meiner Eltern mich aufzuhalten - der Letzte war in Tegel beim Einchecken von meiner Mutter: „Du kannst immer noch hier bleiben, Kind!“ - die mich als Trotzkopf in dieser Entscheidung eher noch bestärkt haben. Jedenfalls hatte ich keine Ahnung was mich erwartete. Bis zu meinem Abflug im Oktober war Asien für mich ein großes schwarzes Loch gewesen. Und das erste Mal hatte ich Zeit um in einen Reiseführer zu gucken, war als ich bereits im Flugzeug saß.

Asia is different! - Das sagt kurz und knapp alles. Wie sollte man sonst ein halbes Jahr in einer total anderen Welt zusammenfassen. Es gibt tausend Eindrücke und Erinnerungen, die mir zu diesem Thema im Kopf rumschwirren.

Erwartet hatte ich ein Entwicklungsland - vorgefunden habe ich ein Land ausgestattet mit modernsten Technologien, imposanten Hochhäusern neben traditionellen Tempeln verschiedenster Religionen und Garküchen auf Fahrrädern. Und trotzdem ist es in weiten Teilen doch auch ein Entwicklungsland mit Billiglöhnen, ohne soziale Absicherung, einer Diktatur und hohen Korruptionsgraden.

Zwei Stunden nach meiner Ankunft saß ich beim Dinner im KLCC, welches wohl nur außerhalb der Landesgrenzen als Petronas-Towers bekannt ist. In der 2. Nacht schlief ich im 30. Stock eines Hotels und damit so hoch wie nie zuvor in meinem Leben. An meinem ersten Wochenende war ich auf der Insel Penang und kam mir vor als wäre ich landschaftlich in einem amerikanischen Vietnamfilm gelandet. Ich werde auch nie die Atmosphäre vergessen, wenn man im Ramadan-Monat fünf Minuten nach Sonnenuntergang versuchte in dieser Stadt noch etwas Essbares zu finden.

Ramadan war dabei nur eines der wichtigen religiösen Festivitäten in diesem Land, wo vier Hauptreligionen unheimlich friedlich nebeneinander existieren können. Ich hatte mir unwis-
send eine gute Zeit für diesen Kulturteil ausgesucht. In die sechs Monate meines Aufenthaltes fielen fast alle wichtigen religiösen Feste.

Das begann mit dem Hindufest Deepavali - auch als Fest der Lichter bekannt. Eingeladen von einem indischen Arbeitskollegen erfuhr ich erstmals, was es heißt, richtig indisch zu essen - auch wenn ich für einige Tage dachte alle meine Geschmacksnerven wären diesem Fest zum Opfer gefallen.

Auch Weihnachten bei 33 Grad Celcius werde ich nie vergessen. Schon in den Wochen vorher konnten mich künstliche Weihnachtsbäume, mit Kugeln behangene Palmen und Weihnachtslieder bei den Temperaturen nicht in Weihnachtsstimmung bringen. Und während Heiligabend der Kreis meiner Lieben zu Hause Weihnachtslieder unterm Tannebaum summte, feierten wir ausgelassen in Sommerklamotten mit (Massen von) Bier, Countdown um Mitternacht, indischem Weihnachtsmann, Tröten, Konfetti- und SnowSpray fights in den Straßen des Kneipenviertels die Geburt Jesus Christi.

An Thaipussam - ein weiteres Hindufest - schauten wir der Prozession tausender Hindus zu. Diese rasierten sich zu diesem Anlass die Köpfe oder versetzten sich in Trance und spießten sich Speere durchs Gesicht oder „piercten“ sich mit Haken an Brust und Rücken. So „vorbereitet“ marschierte die ganze Prozession fast 300 Stufen hoch zu einem in einer Höhle untergebrachten Hindu-Tempel um den verschiedenen Göttern Milch, Honig, Limonen oder weitere Gaben zu opfern.

Chinese New Year fiel auf Anfang Februar. Das Land wurde für zwei Wochen in rot und Gold getaucht. Die Chinesen verschenkten Orangen, ließen Papierlampions mit den Wünschen fürs nächste Jahr in den Himmel starten und feierten mit der ganzen Familie den Beginn des Jahres der Ziege.

Sylvester läuteten Fallschirmspringer mit Sprüngen vom KLCC das neue Jahr ein. Und bei der Formel 1 holte ich mir fast einen Gehörschaden von der dort vorherrschenden Lautstärke.

Ein purer Hochgenuss ist die Unterwasserwelt: Schon am ersten Tag eines Tauchkurses sahen wir riesige Butterhead-Fische. Am zweiten einen drei Meter Durchmesser messenden Rochen und eine Wasserschildkröte. Von den anderen in allen Regenbogenfarben vorhandenen Fischen einmal abgesehen. Auf den vielen kleinen Inseln findet man noch paradiesische Strände, an denen man mutterseelenallein unter Kokospalmen liegt. Wo in der Sonne wegdösen gefährlich wird, weil einem freche Affen dann vielleicht die Sachen klauen und in die Palmen hängen.

Ich stampfte das erste Mal durch den Dschungel, ließ mir dort Taranteln, Tigerspuren und riesengroße Insekten zeigen. Fütterte ungewollt Moskitos und Blutegel und übernachtete für 2,50 Euro in einer typischen BackPackers Absteige.

Aber nicht alles war eitel Sonnenschein in dieser Zeit. Vor allem der Anfang war schwer gewesen. Der glorreich durchs Internet gefundene Praktikumsplatz kam mir bald als Hölle auf Erden vor. Der Chef stellte sich schnell als Psychopath heraus und schikanierte seine Mitarbeiter auch nach der Arbeitszeit.

Nur mit viel Glück und lokalem Vitamin B fand ich innerhalb eines Monats einen neuen Praktikumsplatz. Dies war besonders dadurch erschwert, dass ich meine Suche praktisch unsichtbar und nach der Arbeitszeit ohne PC etc. durchführen musste. Das zweite Problem was sich daraus ergab, war, dass ich die von der Firma gestellte Wohnung wechseln musste.

Die Wohnsituation war eh ein Thema für sich. In der ersten Wohnung wohnten wir praktisch ohne Küche. In der zweiten Wohnung wohnte ich mit fünf Chinesen und hatte das einzigste Einzelzimmer. Das es dort nur eine kalte Dusche gab, mag so manchen abschrecken, ich war dagegen oft froh, wenn es überhaupt Wasser gab. Auch wohnte ich diese drei Monate ohne Waschmaschine und da Waschsalons in KL unbekannt sind, durfte ich mich auf die gute Handwäsche zurückbesinnen.

Erst innerhalb der letzten drei Monate schaffte ich es in halbwegs europäischen Verhältnissen zu wohnen. Meine Freude über eine Waschmaschine und eine konstant funktionierende warme Dusche war unermesslich.

Malaysia ist für europäische Verhältnisse unheimlich billig. Mit einem Praktikum kann man aber nirgendwo und vor allem nicht im Ausland reich werden. Ohne ein gutes Polster hätte ich es mir nie leisten können.
Im Nachhinein würde ich sagen, es war ein Unfall, ein Zufall, etwas Unvorhersehbares und Unerwartetes, aber so weit eine der besten Zeiten meines Lebens.

Stefanie Lahn