Streik-Rückblick und Ausblick

Wir sind viele, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut, …“ schallt es im Winter 2003 durch die Straßen Berlins. Die Bildung wurde symbolisch zu Grabe getragen. Berlin ist im Ausnahmezustand . Angefangen hatte alles mit den Kürzungsphantasien Thilo Sarrazins, der den Universitäten nahezu ein Drittel des Gesamtbudgets kürzen wollte. Im Sommer hieß es: die HU nimmt ab dem WS 03/04 keine Studenten mehr auf. Zusätzlich mobilisierte unser Präsidium zu Demonstrationen u.a. zu den Parteizentralen, um eine gute Verhandlungsposition gegenüber dem Berliner Senat zu erreichen. Leider bekamen unsere Studenten „den Arsch nicht hoch“ und beteiligten sich so gut wie gar nicht. Folge war, dass statt 300 Millionen in den nächsten sechs Jahren immer noch insgesamt 129 Millionen Euro eingespart werden müssen.

Der Strukturplan des Präsidiums, welcher Vorschläge unterbreitete, wie viel Lehrstühle an den Fakultäten entfallen sollen, machte die Bildungskatastrophe dann endlich konkret. Die einen Fakultäten traf es hart, die anderen existentiell. Nun (erst) lief der Protest der Studenten langsam an.

Zuerst erklärte die TU den Streik, wenig später zogen HU und FU nach. Die Protestwelle wuchs, zuerst wurde das Hauptgebäude der HU besetzt, wenig später waren fast alle Unigebäude von Besetzungen betroffen. Alle? Nein, an unserer Fakultät sah alles so aus wie bisher. Vorlesungen wurden gehalten, Arbeitsblätter abgegeben, es wirkte fast, als ob der Sturm, der ausserhalb der Spandauer Straße tobte, uns nichts anginge.

Einzig Professor Blankart veranstaltete eine öffentliche Vorlesung, die zudem die Aufmerksamkeit des ZDFs weckte, welches spontan Interviews führte. Währenddessen erreichte der Protest an den anderen Fakultäten ungeahnte Höhenflüge. Unzählige witzige und intelligente Aktionen fanden statt. Ikea wurde Studentenasyl, das Büro des Kultursenators wurde besetzt, der Alexanderplatz wurde zum Sportplatz. Es reizte einen teilzunehmen, doch praktisch war dies an unserer Fakultät nicht möglich, da bis zum 27.11 alle Veranstaltungen und Hausaufgaben stattfanden wie vorher.

Daher meldeten sich auf der Vollversammlung am 26.11 Wirtschaftspädagogen zu Wort, die die Besetzung aller Gebäude und somit unserer Fakultät forderten. Dieser Antrag wurde neben der Verlängerung des Streiks mit knapper Mehrheit angenommen. An nächsten Morgen war auch unsere Fakultät „besetzt“. Es wurde versucht nur Mitarbeiter einzulassen und somit Lehrveranstaltungen zu unterbinden, um damit auch den Wirtschaftswissenschaftlern, die praktische Teilnahme an den Aktionen und der Großdemonstration gegen Bildungsabbau zu ermöglichen. Vielleicht war dies gar nicht so falsch gedacht, denn die Demonstration am Donnerstag war mit 25000 Teilnehmern die größte Studentendemonstration, die Berlin je gesehen hatte. Mit Beginn der „Besetzung“ hallte eine Frage unzählige Male durch die Fakultät: „findet die Veranstaltung nun statt oder nicht?“ Misstrauisch den Worten des Präsidiums glauben zu schenken, welches keine Nachteile für Streikteilnehmer versprach und unfähig sich eine eigene Meinung zu bilden, dürstete es den gemeinen Wirtschaftsstudenten nach Führung. Einige Institute entschieden daher ihre Veranstaltungen ausfallen zu lassen, was auch ohne Protest seitens der Studenten aufgenommen wurde. „Hauptsache es kommt nicht in der Klausur ran!“ Andere Lehrstühle schickten ihre Dozenten mal gucken, ob denn Studenten da wären, diese trafen auf Studenten, die mal schauten, ob Dozenten da wären. Nachdem man sich so eine Weile anschaute machte man, weil man nun schon mal da war, so weiter wie bisher.

Was sollte nun geschehen? Eine Lösung versprach die am Montag den ersten Dezember anberaumte WIWI-Vollversammlung, die erste seit zehn Jahren. Der 201 war berstend voll, alle Plätze waren besetzt, die Gänge waren voll und auch die Empore war überbelegt. Kurz, es sah so aus, wie bei einer ganz normalen Mathe1-Vorlesung. Doch Im Gegensatz zu einer Vorlesung, saßen hinter dem Pult alle Personen, die für einen Streik wichtig sind: Prof. Burda als Dekan erster Vertreter unserer Fakultät, Klaus, Phillip und Daniel vom Studentenrat, Michael Kvasnika als Moderator, Deborah und Thomas vom HU-Aktionsrat und Herr Walter zuständig für alles übrige in der Fakultät nicht zu letzt die Technik. Doch trotz Herr Walters naher Anwesenheit, fiel der Beamer aus und Prof. Burda setzte daher frei zu einer mitreißenden und witzigen Rede an. Zu Beginn seiner Rede erklärte er die ökonomische Ausgangslage und welche Bedeutung Bildung in diesem Geflecht hätte, wie ungerecht unsere Fakultät behandelt wird und was passieren wird, wenn die Kürzungen wie geplant durchgesetzt werden. Als einfache, schnelle und praktikable Lösung, um unsere Fakultät zu retten, stellte er die Erhebung von Studiengebühren in Höhe von 300 Euro in den Raum. Im Sog des Vortrags und argumentativ völlig überrumpelt, überschlugen sich die Studenten in der anschließenden Diskussion mit dem Angebot, diese Studiengebühren auch tatsächlich zu bezahlen. Prof. Burda hätte statt des mobilen Mikros eine Einzugsermächtigung durch die Reihen gehen lassen sollen! Ich bin überzeugt, wenn er anschließend über die Einführung dieser Studiengebühr hätte abstimmen lassen, wäre ihm eine große Mehrheit für die Studiengebühr sicher gewesen. Wer hätte gedacht, dass das so einfach geht! In der anschließenden Diskussion stellten sich alle Anwesenden den teils kritischen Fragen, wobei sowohl die schlechte Kommunikationspolitik der Fakultätsleitung bemängelt wurde, wie auch die als zu ideologisch empfundene Ausrichtung des HU-Aktionsrates.

Diese Debatte erreichte einen äußerst peinlichen Tiefpunkt, als Mitglieder der Liberalen Hochschulgruppe die Vertreter des HU-Aktionsrates persönlich beleidigten. Jenseits dieses unerfreulichen Vorfalls erreichte die Diskussion einige konstruktive Ideen, wie z.B. die Veröffentlichung bisher interner Daten.

Nach der Beendigung der Vollversammlung, war die Atmosphäre wie ausgetauscht. Jeder diskutierte mit jedem, Professoren waren für jeden auch außerhalb der Sprechstunde zu sprechen, Pläne wurden geschmiedet, es entstand das Gefühl, dass wir alle an einem Strang ziehen. Schade, dass erst die Kürzungen über uns kommen mussten, um dies zu erzeugen. Vielleicht ist diese Streikzeit ja der Beginn des Prozesses, in dem wir UNSERE Fakultät retten. Wenn alle Mitglieder dieser Fakultät sich nach ihren Möglichkeiten einbringen, dann kann viel gelingen!

[Wolfram Wilde und Iro Bajohr]