VWL-Tourismus in Florenz

Was hat Berlin mit Florenz zu tun? Außer dass beide einen Dom haben, eigentlich nichts. Aber trotzdem zieht es inzwischen immer mehr Berliner nach Florenz, und das nicht um die Ponte Vecchio zu bestaunen, sondern auch um z.B. Dynamic General Equilibrium Modelle zu lösen. Um genauer zu sein, zieht es diese Leute von der Spandauer Straße, Sitz der VWL Fakultät der HU, an die Via della Piazzuola, Sitz der VWL Fakultät des EUI (European University Institute).

Als Erstes kam eine kleine Vorhut, bestehend aus Mirko Wiederholt allein. Nachdem dieser inzwischen wieder an die Spandauer Straße zurückgekehrt ist und Lagebericht erstattet hat, dachte sich dann Helmut Lütkepohl „Was die Studenten können, kann ich auch“, ließ sich 4 Jahre von der Humboldt freistellen und verbringt diese in dem schönsten Büro des Instituts, um nicht mehr auf unseren Hinterhof, sondern auf den Florentiner Dom zu gucken (der im Vergleich mit dem Berliner Dom doch der eindeutige Gewinner ist).

Vor einem Jahr machte sich dann meine Wenigkeit auf in die Toskana, und dieses Jahr brachen dann endgültig alle Dämme, die Berliner Invasion ließ sich nicht mehr aufhalten. Die Humboldtianer kamen in Scharen. Soll heißen zu dritt. Jetzt studieren hier also Boris Glass, Christian Kascha und Claudia Trentini, die natürlich nur rein zufällig Italienerin ist. Helmut Lütkepohl schaffte es dazu auch noch, inzwischen fast allen seiner Assistenten nacheinander für ein Jahr lang die italiensche Kultur und ein Stipendium näher zu bringen.

Aber warum überfluten die Berliner nun gerade Florenz, und was ist das hier überhaupt, das EUI (auf Italienisch IUE)? Das EUI selbst ist eine eher eigenartige Einrichtung der Mitgliedsstaaten der EU, in dem man noch nicht mal ein Diplom oder Laurea oder ähnliches machen kann, sondern lediglich einen Doktor. Und selbst das nur in VWL, Politologie/Soziologie, Geschichte und Jura (sollen angeblich alle was mit Europa zu tun haben, auch wenn einem das in Mikro I und Statistik II nicht gerade ins Auge gefallen ist). Dabei werden europäische Prinzipien streng befolgt. So gibt es natürlich Quoten für jede Nationalität, und die Franzosen konnten wieder mal durchsetzen, dass zumindest die Geschichtler auch Französisch können müssen, warum auch immer. Auch akademisch ist das EUI eine leicht sonderbare Institution. So werden die Professoren immer nur für 4 oder 8 Jahre berufen. Das hat natürlich den Vorteil, dass öfter mal frische Impulse kommen, aber den Nachteil, dass sich von den meisten der Doktorvater irgendwann verabschiedet.

Generell ist der akademische Standard recht hoch, zumindest wird es im Allgemeinen zu den besten europäischen Ph.D. Programmen gezählt, etwa zusammen mit der LSE, UCL (beide London), Stockholm (Handelshögskolan und Universitet), der Pompeu Fabra in Barcelona, Tillburg und Bonn. Akademisch ist das EUI vielleicht nicht so gut wie die LSE oder die Pompeu Fabra, aber trotzdem auf einem hohen Niveau und mit ausgezeichneten Kontakten zu europäischen Institutionen sowie zur Weltbank und dem IMF.

Im Allgemeinen wird oft gesagt, wer in die Forschung will, ist in Barcelona gut aufgehoben, und für jemanden, der eine außerakademische Karriere anstrebt, ist Florenz eine gute Wahl. Für die Juristen und Politologen ist Florenz sogar allererste Adresse und eine Art europäischer Think Tank. Es gibt aber auch zwei ziemlich pragmatische Gründe für Florenz, die da wären Zeit und Geld. Das Programm dauert im Gegensatz zu den anderen 5-jährigen Ph.D. Programmen nur dreieinhalb bis vier Jahre, und jeder, der genommen wird, bekommt vom DAAD monatlich leicht mehr als 1000. Und das ohne auch nur einen zusätzlichen Zettel ausfüllen zu müssen, was nach dem monatelangen Papierkrieg, den man nach mehreren Bewerbungen für Ph.D. Programme hinter sich hat, sehr erholsam ist. Geld ist auch für mindestens drei Jahre sicher, so dass man nicht nach einem Jahr ohne Stipendienverlängerung dasteht.

Wenn man erstmal im Programm drin ist, fliegt man auch so schnell nicht wieder raus, nach dem ersten Jahr wird im Schnitt ein VWLer von ungefähr 25 rausgekantet. Das ist extrem wenig. In Barcelona werden 40 oder mehr zum Master angenommen, denen dann in der ersten Stunde gesagt wird, dass die acht besten zum Ph.D. zugelassen würden, und viel Spaß noch beim kameradschaftlichen Lernen. Die kommen dann auch nach sechs Monaten das erste Mal aus der Bibliothek raus. Arbeiten muss man in Florenz als VWLer zwar auch, wie immer viel mehr als die Geisteswissenschaftler, aber dafür fängt das Programm statt mit Mathe mit einem Sprachkurs in Italienisch an, was die ganze Sache schon mal sympathischer macht. Dass dauernd kostenlose Sprachkurse in den wichtigsten europäischen Sprachen angeboten werden, ist sowieso eine nette Sache.

Nach den Sprachkursen folgen dann ein Jahr lang Kurse in Mikro, Makro und Ökonometrie (natürlich sind alle Kurse in Englisch), mit spaßigen Midterms und Abschlussklausuren. Wenn man dann auch noch das erste kleine Paper im Juni abgegeben hat, bekommt man als Belohnung einen „Master of Research“. Im zweiten Jahr belegt man dann noch zwei Kurse, aber ansonsten wird krass geforscht. Deswegen geht auch alles ein bisschen schneller, in den anderen Programmen hat man durchaus länger Kurse, Klausuren und sonstige Heiterkeiten.

Da fast niemand aus dem Programm wieder rausfliegt, ist es allerdings ein bisschen schwieriger aufgenommen zu werden. Zur üblichen Bewerbung (aber ohne GRE und TOEFL) kommt dann noch ein Interview in Florenz dazu (die Fahrtkosten werden übrigens übernommen). Doktorväter hat man auch, sogar gleich zwei, aber leider ist nicht garantiert, dass die auch Experten in dem jeweiligen Thema sind, da die Fakultät nicht besonders groß ist.

Ansonsten herrschen in Florenz überraschenderweise fast schon italienische Verhältnisse. Die Busfahrpläne haben also rein gar nichts, aber auch wirklich gar nichts mit den Fahrzeiten der Busse zu tun, bei den Verkäuferinnen von Berlusconis Supermärkten kriegt man die Superkrise, so langsam sind die, und die Italiener fahren wie die Bekloppten (woran man sich als Berliner Fahrradfahrer allerdings schnell gewöhnt und vollends übernimmt). Vieles, was man kauft, geht erstmal kaputt, und generell wird sehr viel und sehr laut gelabert. Abgesehen davon lernt man aber doch auch zu schätzen, dass generell alles eher locker gesehen wird und merkt, dass Olivenhaine einfach schöner sind als der Humboldthain. Der Kaffee von den HU Cafeterias kann dem der EUI Cafeteria nicht mal ansatzweise das Wasser reichen, das Wetter ist erwartungsgemäß besser und die Partys in der institutseigenen Bar Fiasko sind legendär. Obwohl ich den Blick auf den Fernsehturm schon vermisse, ist das Panorama von Florenz mit Dom etc. als Uni-Ausblick auch nicht zu verachten. Selbst Ausgehen kann man, wenn man sich ein bisschen auskennt, und nicht gerade Berliner Kneipen- und Clubvielfalt erwartet.

Generell gilt hier natürlich dasselbe, was schon im letzten Hermes beschrieben wurde: Fast alle Ausländer finden Berlin total toll, und sind ungefähr genauso neidisch, wenn man erzählt, dass man daher käme. Ähnliches gilt für viele (vor allem ältere) Leute in Deutschland, denen man erzählt, dass man in Florenz studieren würde.

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