Professoren und ihre Studienzeit

Wenn ihr entnervt über der nächsten Klausur brütet, dann fragt ihr euch vielleicht, ob diese Klausurensteller nie selber studiert haben, oder ob sie in ihrer Studienzeit auch mal was anderes gemacht haben, als nur zu lernen. In unserer Reihe „Professoren und ihre Studienzeit“ sprachen wir diesmal mit Frau Professor Gertich.

Wo und wann haben Sie studiert?

Prof. Gertich: Ich habe 1968 in Ber­lin begonnen, VWL zu studieren. Aber die erste Chance, einen BWL-Abschluss zu machen, habe ich genutzt, so dass ich 1972 mein Diplom zu einem betriebswirtschaftlichen Thema machen konnte.

Wann sind Sie nach Berlin gekommen?

Ich bin 1968 mit achtzehn Jahren aus einer Kleinstadt im Erzgebirge nach Berlin gekommen und war sehr froh, in einer großen Stadt zu leben und seitdem bin ich auch in Berlin.

Wieso haben Sie sich für ein Wirtschaftsstudium entschieden?

Mein Großvater war in einem Unternehmen tätig und meine Tante arbeitete in einem Außenhandelsgeschäft, was ich sehr spannend fand. Das war wohl so was wie eine Vorbildwirkung.

Gab es Fächer, die Sie gehasst haben?

Ich denke, die hatte jeder. Gehasst würde ich vielleicht nicht sagen, aber nicht gerade gemocht. Das hing oft sehr stark damit zusammen, wie diejenigen, die die Fächer vertreten haben, bei einer jungen Studierenden angekommen sind. Volkswirtschaftsplanung habe ich zum Beispiel nicht gemocht und da habe ich auch nur die nötigsten Kurse besucht. Außerdem hatten wir im Grundstudium damals Fächer wie „Technologien in unterschiedlichen Branchen“ oder „Grundlagen der Chemie“, wo ich heute sage, das war nicht schlecht, aber was ich damals eben nicht sonderlich geschätzt habe.

Ach, das gehörte richtig zu den Pflichtfächern?

Ja, ich studierte Industrieökonomik, da musste man sich mit den unterschiedlichen Branchen befassen. Ob nun etwas gesintert oder im Gesenk geschmiedet wird, ist für die BWL schon interessant, denn in vielen Fällen bestimmt der Fertigungsablauf das weitere Geschehen. Aber diese Fertigungsverfahren selbst waren nun wirklich nicht mein Traum.

Was waren Ihre Lieblingsfächer?

Das waren die BWL-Fächer und dafür habe ich auch andere Dinge gerne vernachlässigt.

Glänzten Sie bei den Veranstaltungen immer mit Anwesenheit?

Das trifft wohl für fast niemanden zu. Aber eines galt: Wenn ich da war, und ich denke, dass ich die meiste Zeit schon da war, dann war ich so da, dass die Vorlesungszeit nicht vertan war. Ich war also aktiv dabei. Absitzen oder so was, das habe ich nicht gemacht. Und das geht mir auch heute noch so. Wenn schon da, dann voll da, und dann auch möglichst in der zweiten Reihe. Nicht, damit man gesehen wird, sondern damit man auch was mitbekommt. Vorne gab es eben nicht diese Geräusche wie zum Beispiel von Zeitungen, denn Zeitung wurde auch zu meiner Zeit schon gelesen.

Waren Sie Jahrgangsbeste oder hatten Sie auch Ausfaller zu beklagen?

Das erste Mal in meinem Leben bin ich bei der Fahrprüfung beim Einparken durchgefallen, aber an der Uni kannte ich das Durchfallen eigentlich nicht. Ich kannte natürlich die Angst, eine Klausur in den Sand zu setzen oder eine mündliche Prüfung.

Wie sah ihr Studentenleben aus, sind Sie viel weggegangen?

Wenn man mit achtzehn in die Großstadt kommt und die Eltern ein bisschen weiter weg sind, fühlt man sich schon alt genug, dass man mal eine Party macht, gar keine Frage. Ich habe das auch gelebt. Ich reiste sehr gerne. Während meines Studiums hatte ich ein Stipendium der Eisenbahn, wodurch ich, wenn ich gute Noten hatte, neben einem Büchergeld auch Freifahrten im S-Bahn- und Reichsbahnnetz bekam. Das war eine tolle Sache. Außerdem hatte ich in meiner Studentenzeit ein sehr schönes Hobby. Ich war in einem Segelverein. An den Wochenenden wurde Fahrten gemacht und es gab Studentenmeisterschaften. Man hatte seinen Freundeskreis in diesem Sportverein und da gibt es auch heute noch Kontakte. Insofern muss ich immer sagen, dass die Studentenzeit eine Zeit ist, die im Leben nie wieder kommt. Man ist locker, man ist jung, man hält eine Menge aus und nimmt sehr schnell neue Dinge auf.

Hatten Sie einen Studentenjob?

Mehrere. Vor allem in der vorlesungsfreien Zeit hatte ich Jobs. Da musste das Geld verdient werden für den Verein, für das Hobby und für Urlaub. Ich habe meistens auf dem Bau gearbeitet, weil das gut bezahlt wurde. Es gab auch Tätigkeiten, die Frauen machen konnten, wie zum Beispiel Blendmauerwerke verfugen, an heißen Tagen Betonflächen feucht halten oder wenn im Verkehrsbau beispielsweise Böschungen mit Mutterboden belegt wurden, kann man nicht überall Technik einsetzen. Das waren eben typische Studentenjobs. Wie gesagt, da guckte man danach, wo man das meiste verdient. Während des laufenden Semesters hatte ich gemeinsam mit meiner Wohngemeinschaft eine Hauswartstelle, die wir uns zu viert geteilt haben. So konnten wir mietfrei wohnen.

Sie haben in den 70ern studiert, haben Sie da auch die ganze Flower-Power-Mode mitgemacht?

Natürlich! Schlaghosen, lange Haare, Beatles, Holzpantoletten, jede Haarfarbe einmal durch. Das haben wir alles mitgenommen.

Was war die Musik Ihrer Jugend?

Es gab zwei Richtungen. Einmal eben die Beatles. Da erinnere ich mich an ein Erlebnis in unserer Wohngemeinschaft. Wir hatten die „Abbey Road“-Platte ganz neu und die wurde dann auch den ganzen Tag hoch und runter gespielt, bis in den Abend hinein. Eines Tages kam der Mieter unter uns und fragte, ob wir denn nicht mal was anderes spielen könnten. Neben den Beatles hatte ich aber noch eine andere Leidenschaft, die ich gepflegt habe und wo ich heute überhaupt nicht mehr dazu komme. Ich hörte sehr gerne klassische Musik und habe in dieser Zeit eigentlich alle Neuinszenierungen, die die Staatsoper oder die Komische Oper aufführte, gesehen. Das konnte man sich damals auch als Student leisten.

Wann wussten Sie, dass Sie Professorin werden wollen?

Der Berufswunsch, Professorin zu werden, ist relativ spät gefallen. Ich habe ja erst einmal normal mein Studium absolviert und dann schloss sich für einige Studierende so etwas wie ein Doktorantenstudium an. Auch ich studierte nach meinem Diplom im Rahmen dieses Forschungsstudiums weiter und habe 1975 promoviert. Danach hatte ich jedoch erst mal vom Universitäts- und Wissenschaftsbetrieb die Nase voll und wollte was anderes sehen und machen. Also bin ich in die Wirtschaft gegangen und arbeitete vier Jahre lang im Elektrotechnikbereich, konkret im Rechnungswesen des Absatzbereiches. Das war natürlich relativ ungewohnt, mit einem Mal eine ganze Menge an Mitarbeitern und Verantwortung zu haben. Es war eine anspruchsvolle Aufgabe, die mir auch sehr viel Spaß gemacht hat, die aber auch viel Unterordnung verlangte. Die Entscheidungsspielräume sind dort in festen Hierarchien eingeschränkt und ich spürte in dieser Zeit, dass man im Wissenschafts- und Universitätsbereich interessantere Problemstellungen bearbeiten kann. Seit meiner Tätigkeit an der Humboldt-Uni bildete sich zunehmend mein Berufsbild einer Professorin heraus.

Was hat sich im Vergleich zu damals verändert?

Natürlich würde ich erst mal sagen, dass so viele Unterschiede nicht existieren. Die jungen Leute sind genauso wie damals. Die Erwartungshaltungen an das zukünftige Leben und an das Studium sind ähnlich. Auch heute studieren sehr viele berufsorientiert. Was sich geändert hat, sind die Chancen. Die Öffnung, also das, was wir unter Globalisierung verstehen, ist heute mit enormen Möglichkeiten verbunden. Dass Sie Zugang zu dem Wissen der ganzen Welt haben, wenn Sie die Sprachen und alles beherrschen, das finde ich, ist eine unerhörte Chance. Das gönne ich auch den jungen Leuten und das sollten sie nutzen solange sie jung sind, weil sie dann ganz anders aufnahmefähig sind. Die Chance ist natürlich auch mit Anstrengungen verbunden. Man muss sie erstens erkennen und zweitens kann man nicht alles machen, sondern muss sich spezialisieren. Aus dieser Chance heraus, muss man aber auch erkennen, dass der Kreis der Mitbewerber größer geworden ist. Das heißt, dass man schon auch im Auge behalten muss, wie weit ich bei meiner Berufsorientierung gehe und wie lange ich mir das Studentenleben erlauben kann. Das heißt nicht, wie lange ich es finanzieren kann, sondern wie viel Zeit ich investieren sollte.

Was raten Sie den Studenten von heute?

Ich raten ihnen, dass sie ihr Studentenleben bewusst erleben und dass sie sich ein Ziel setzen. Dieses Ziel zu formulieren ist nicht immer einfach. Mir hat es auch immer geholfen, zu wissen, was ich nicht will. So kann man vieles schon einmal ausgrenzen. Auch sollten sie von ihren Ansprüchen nicht ablassen. Ihre Umgebung ist manchmal vielleicht abweisend oder man kann ein Ziel nicht auf dem kürzesten Weg erreichen. Dann muss man darüber nachdenken, ob es nicht vielleicht auch andere Näherungsmöglichkeiten gibt. In dieser Frage würde ich ihnen Entschlossenheit und Zielstrebigkeit mit auf den Weg geben. Man muss kommunikativ sein und offen, offen gegenüber anderen Menschen, gegenüber neuen Aufgaben. Das ist wichtig.

Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Astrid Zehbe